Geschichten:Von Lebenden und Toten
An der Reichsstraße, Mährenfeld 17. PRA 1043
Nur fort! Weg von diesem Ort des Schreckens! Peitschen knallten, Hufe stampften und die eisenbeschlagenen Wagenräder setzten sich rasselnd in Bewegung. In aller Hast zusammengerafft türmten sich Zeltbahnen, Wimpel, Gestänge, die Utensilien des täglichen Bedarfs und obenauf die Körper derjenigen, deren Schreie auf dem Erlgardsfeld für immer verstummt waren. Daneben tropfte, sickerte, pulsierte und tränkte das Blut der noch Lebenden die bunten Wimpel und das Farbenspiel der Wappen und blieb als rote Spur auf dem Weg zurück. Bei jedem Stoß der Räder auf dem holprigen Pflaster ächzten und stöhnten die allenfalls notdürftig Verbundenen vor Schmerz auf, andere wimmerten unentwegt.
Praiodan von Steinfelde hatte zusammen mit ein paar anderen Hartsteener Rittern, die dem unseligen Gemetzel auf dem Erlgardsfeld entkommen waren, die Nachhut des Zuges übernommen. Immer wieder gingen seine Blicke zurück, in der Erwartung, dass jeden Moment Verfolger hinter ihnen auftauchen würden. Der Wegevogt selbst war nie ein sonderlich guter Tjoster gewesen. Das Getümmel des Buhurt dagegen hatte er stets geliebt und dabei seinen Mann gestanden – wie nicht zuletzt auf dem großen Turnier von Korgond. So etwas wie heute hatte der alternde Kämpe jedoch noch nicht erlebt. Was war nur in ihre Gastgeber gefahren, dass sie alle geltenden Turnierregeln und die Gastfreundschaft verletzt hatten? Sollte das durchaus zu kritisierende Verhaltung seines Barons dies alles ausgelöst haben? Der vom Schlachtruf ’Rache für Lechmin’ getragene Furor der das Zentrum der Hartsteener bestürmenden Reichsforster Ritter hatte erstere völlig überrumpelt. Er selbst hatte auf der linken Flanke gestanden und seine Schar war durch den Angriff so weit abgedrängt worden, dass er dem Grafensohn in dessen verzweifeltem Abwehrkampf keine Hilfe hatte bringen können. Auf der anderen Seite mochte dies der Grund gewesen sein, weshalb Praiodan das blutige Treffen im Gegensatz zu so vielen anderen tapferen Recken einigermaßen unbeschadet überstanden hatte.
Der Zug vor ihnen geriet ins Stocken und die Wagen hielten unter den nervösen Rufen der Kutscher und Wagenknechte an. Praiodan sah sich suchend um. Vielleicht ein Hinterhalt? Doch statt neuerlichem Kampfeslärm kam eine Knappin, Korisande von Rothermund, herangeeilt und rief ihm zu: „Herr Praiodan, Hochgeboren Odilbert verlangt nach Euch.“
Der Steinfelder erreichte seinen Neffen und dessen Gemahlin Niope am vorderen Ende des Zuges, zusammen mit Adalbert von Hirschenrode und Peridan von Allingen. Odilberts Gesicht und sein Wappenrock waren über und über mit Dreck und trocknenden Blutspritzern besät. Seine behandschuhte Hand öffnete und schloss sich in einem fort um den Griff von ‚Morsang’. Der Baron von Hutt hatte soeben das Wort ergriffen: „Wir sollten keine Zeit verlieren und diese Gegend, wo man uns so übel mitspielt, so schnell wie möglich verlassen und nach Hartsteen zurückkehren. Doch was meint Ihr?“
Der Allinger pflichtete ihm mit bebender Stimme bei: „Euer Vater muss alsbald erfahren, was heute zu Luring vor sich ging. Keiner dieser hinterhältigen Friedensbrecher und Mörder soll seiner gerechten Strafe entgehen!“
„Was machen wir mit den Toten?“, warf der praktisch denkende Adalbert von Hirschenrode ein.
„Die nehmen wir natürlich mit. Keiner von ihnen soll hier seine letzte Ruhe finden müssen.“
„Ich gebe zu bedenken, dass wir allein bis Gareth mindestens fünf Tage unterwegs sein werden und es ist Hochsommer. Ich brauche Euch wohl nicht zu sagen, was mit den Leichen unterwegs geschieht“, wandte der Junker von Hirschenrode ein, der genau wusste, wovon er sprach. Doch der Allinger, der heute seinen ältesten Sohn verloren hatte, entgegnete heftig: „Umso besser: Dann kann jedermann dieses gen Alveran stinkende Unrecht nicht nur sehen, sondern auch selbst riechen!“
„Für’s erste führen wir die Toten weiter mit uns“, entschied Odilbert.
„Und die Lebenden?“, mischte sich Niope ein. Die Koscherin hatte der Götter sei Dank nicht am Buhurt teilgenommen, obgleich sie als Ritterin dazu berechtigt gewesen wäre.
Was soll mit denen sein?“, Odilbert kniff die Lippen zusammen.
„Frau Niope hat recht, sich darüber Gedanken zu machen“, nahm Praiodan den Faden auf, „Viele der Verwundeten sind zu schwach für den langen Weg. Sie werden unterwegs sterben, wenn wir keine Rücksicht nehmen.“
„Aber es wird uns verlangsamen! Und das können wir uns in dieser Situation nicht erlauben“, konterte Peridan von Allingen, „Wer weiß, ob die Reichsforster Hundsfötte nicht danach trachten, ihr einmal begonnenes Werk doch noch zu vollenden.“
„Wollt Ihr sie etwa zurücklassen, Allingen?“, knurrte der Hirschenrode. Seine Tochter lebte – noch. Die Zahl und Schwere ihrer Verletzungen verhieß allerdings nichts Gutes.
„Von Wollen kann keine Rede sein, allein....“ blaffte der Allinger zurück, doch Odilbert hob die Hand als Zeichen innezuhalten und die Ritter verstummten. In die Stille wiederholte seine Gemahlin Niope die Worte, die sie zuvor leise geäußert hatte: „In zwei Tagen könnten wir die Ländereien meines Bruders erreichen und um Hilfe bitten. Die heilenden Quellen in Gôrmel würden helfen, dass die Verwundeten wieder hergestellt werden.“
„Aber das führt uns doch noch weiter von Hartsteen fort!“
„Nicht unbedingt. Nicht, wenn wir uns aufteilen...“, überlegte der Wegevogt laut.
„Aufteilen? Was genau stellt Ihr Euch vor?“, erkundigte sich der junge Hartsteen nicht uninteressiert.
„Die Wagen mit den Verwundeten machen sich mit einer leichten Bedeckung auf den Weg gen Ferdok. Alle anderen, die sich im Sattel halten können, begleiten Euch nach Oberhartsteen, und verbreiten unterwegs das Wort von dem Geschehenen.“
Als Praiodan sich umblickte, las er Zustimmung in den Gesichtern der umstehenden Ritter.
„So soll es sein“, bestimmte Odilbert von Hartsteen schließlich nach einem Moment der Stille, „Onkel Praiodan, Ihr werdet die Wagen begleiten.“
Nachdem die Hartsteener Ritter sich entfernt hatten, spürte Odilbert, wie sich eine Hand auf die seine legte. Niope war neben ihn geritten und sprach leise: „Mein Gemahl, auch ich werde mit den Verwundeten nach Gôrmel gehen.“
Odilbert wandte sich seiner Frau zu und fragte irritiert: „Du willst mich verlassen?“
„Mitnichten“, sie ließ seine Hand los und strich ihm über die bleiche Wange, „Aber die Leute dort kennen mich und ich kenne sie. So kann ich mehr bewirken für diese armen, treuen, getäuschten Seelen – und damit für dich; auch wenn wir eine Weile getrennt sein müssen.“
Der Grafensohn schwieg eine ganze Weile. Doch dann nickte er schließlich, reckte das Kinn vor und sprach ernst: „Wo auch immer du sein wirst, ich werde mir den Weg zu dir freikämpfen.“
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