Geschichten:Weiß wie Schnee – Schülerin
Rückblick
Stadt Schwarztannen, Efferd 1044
„Ihr seht ja lustig aus!“, entfuhr es dem Mädchen mit kindlichem Erstaunen, „Ganz dunkel seid Ihr. Dunkle Haare, dunkle Augen, dunkle Haut. Fast so wie ich.“
Ich lächelte und erwiderte: „Ganz recht, fast so wie du.“
„Salome, das ist Ortal, deine Lehrmeisterin“, stellte Helmrat von Schwarztannen-Scharfenstein die Tulamidin vor.
Da wurden die Augen des Kindes ganz groß: „Aber Ihr seid doch eine... Magierin?“
„Und du zeigst magische Begabung“, erwiderte der Ritter nickend, „Gewiss erinnerst du dich an den Versuch der Praioten dir weh zu tun?“
Salome nickte ernst, viel ernster als man es einem Kind in ihrem Alter zugetraut hätte.
„Damals wollten sie dich deiner Magie berauben. Mit Ortal an deiner Seite hast du nicht nur eine kompetente Lehrmeisterin, sondern auch jemand, der gut auf dich acht geben wird. Vor den Praioten brauchst du dich nicht mehr zu fürchten.“
„Hochwürden hat gesagt, er wollte mich von meinem Leid erlösen...?“, hob das Mädchen sichtlich verunsichert an und blickte zwischen den beiden Erwachsenen hin und her.
„Die Praios-Kirche mag Magie nicht sonderlich“, erklärte die Magierin ruhig, „Manche von ihnen – wie Hochwürden – fürchten sich sogar vor ihr. Sie fürchten sie, weil sie sie nicht verstehen und es auch gar nicht versuchen. Die Magie passt nicht in ihr Bild von Dere. Doch warum hätten die Götter manchen von uns dieses Geschenk machen sollen, wenn wir es nicht nutzen sollten? Wäre es nicht schlichtweg Verschwendung?“ Ortal schaute das Mädchen fragend an. „Ein jeder hat etwas besonderes von den Götter erhalten. Bei dir, wie bei mir, ist es die Magie. Und Ehren wir nicht die Götter, indem wir dieses Geschenk zum Besten nutzen?“ Salome hing ihrer Lehrmeisterin an den Lippen. „Ich kenne Magiebegabte, die durch die Praios-Kirche ihrer Magie beraubt wurden und sie fühlen sich furchtbar. Hochwürden hätte dich also keineswegs von deinem Leid – der Magie – erlöst, er hätte sie dir endgültig genommen und dich somit einem wichtigen Teil deiner selbst beraubt. Jenen, denen das widerfährt, die suchen ihr ganzes Leben nach dem, was sie verloren haben, aber die Magie, sie kommt nicht mehr zurück und das Loch in der Seele bleibt.“
„Ich habe meinen werten Herrn Vater und meine werte Frau Mutter verloren“, erinnert sich das Kind voller Trauer, „Sie fehlen mir so sehr!“
Ortal nickte: „Und die Magie, Salome, die Magie ist das einzige, was dir von ihnen geblieben ist und was dir auf immer von ihnen bleiben wird. Sie ist dein Geschenk deiner Eltern an dich. Ihr Geschenk und das der Götter.“
„Dann will ich sie auch nutzen“, schloss das Mädchen mit fester Stimme und blickte mit ihren dunklen Augen in die ihrer Lehrmeisterin, „Die Magie.“