Geschichten:Welf – Verfehlt

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Freiherrlich Scharfenstein, Ende Firun 1048 BF

Ederlinde war die erste, die sich aus der Kinderschar löste. Sie zog einfach ihre kleine Hand aus der ihres Kindermädchens. Ihr roter Fäustling blieb zurück. Dann lief das zweieinhalbjährige Mädchen einfach los. Lief auf ihren Vater zu. Lief so schnell sie ihre kleinen Beinchen trugen. Doch kaum am Pferd ihres Vaters angekommen, machte sie kehrt und hielt auf das Tier im Schnee zu. Dort warf sich vor ihm auf die Knie, umfasste mit ihrer bloßen Hand die Saufeder und zog sie mit einem Ruck aus dem Körper des Tieres. Die Saufeder kippte nach hinten. Das Kind konnte sie nicht halten. Die blutbeschmierte Spitze lag auf dem roten Winterfell des Fuchses.

»Ederlinde«, rief das Kindermädchen entsetzt. Sie hatte noch immer den roten Fäustling in ihrer Hand, aber schien erst jetzt so recht das Fehlen des Kindes bemerkt zu haben. Doch Ederlinde hörte sie nicht. Sie konnte sie nicht hören. Ederlinde hatte noch nie gehört.

Ihre unbehandschuhte Hand legte das Mädchen auf die Stelle, an der die Saufeder gesteckt hatte. Baron Drego stieg vom Pferd. Das Kindermädchen setzte sich unerträglich langsam in Bewegung. Jast stand noch immer der Schweiß auf der Stirn. Er atmete schwer. Dann beugte sich das Mädchen nach vorne, bettete ihr Gesicht in das weiche Winterfell des Tieres und schloss ihre Augen.

Die Blicke von Drego und dem Kindermädchen trafen sich. Die junge Frau blieb stehen. Baron Drego ging weiter. Unerträglich lange brauchte er, bis er hinter seiner Tochter war. Er streckte seine Hand aus und tippte dem Mädchen auf die Schulter. Blitzartig ging sie mit dem Oberkörper nach oben. Wandte sich um. Riss ihre Augen auf. Vater und Tochter blickten sich an.

»Was machst du da?«, hob Baron Dergo ganz langsam und überdeutlich an, wobei er seine Frage mit den passenden Gesten untermalte. Das Kind runzelte die Stirn, als würde es nicht verstehen, warum ihr Vater sie das gerade fragte. Sie stand auf, schaute zu ihm auf. Hellrotes, frisches Blut klebte an ihrer Wange. Dann nahm sie beide Hände auf Brusthöhe, ballte sie zu kleinen Fäusten, spreizte Daumen und kleinen Finger ab und drehte die Hände erst nach innen und dann nach außen.

»Leben?«, wiederholte der Altjachterner langsam und machte dazu die passende Geste. Und kaum hatte er ausgesprochen, rappelte sich der Fuchs auf, die Saufeder fiel dumpf in den Schnee und verschwand dann in Richtung Tannenwäldchen. Er war so schnell und die Anwesenden so perplex, dass ihm keiner nachsetzte.

»Bei Firun und Phex«, entfuhr es Eilein ni Rian, »Ich dachte, ich hätte es dir besser beigebracht, Jast. Eine Schande ist das. Und so was will ein Ritter sein.«

»Ich habe ihn getroffen«, verteidigte sich dieser, »Ganz sicher. Die Saufeder stecke in diesem Vieh drinn.«

»Ich hab gesehen, was ich gesehen habe«, schnaubte die Rian verächtlich.

»Ein listiger Fuchs«, mischte sich Fael ui Rian mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen ein, »Ganz nach meinem Geschmack. Phex hat wohl noch was mit ihm vor.«

Drego von Altjachtern musterte nur seine jüngste Tochter. Aus großen, dunklen Augen schaute Ederlinde ihn an. Es waren nicht Ailsas Augen und auch nicht seine.


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Texte der Hauptreihe:
K2. Gejagt
Ende Fir 1048 BF früh am Abend
Verfehlt
Gejagt


Kapitel 3

Verwundet
Autor: Orknase