Geschichten:Weniger ist mehr
Unerwarteterweise wurde Perrica von Alxertis heute mal ein paar Stunden von niemandem ernsthaft behelligt, was nicht zuletzt auch daran lag, dass ihr ‚Wachhund‘ Lefke von Bregelsaum es mittlerweile trefflich verstand, ihrer Dienstherrin zumindest die weniger wichtigen Besucher und Anliegen vom Halse zu halten – zumindest für eine Weile.
Die Adlige nutzte diese ebenso seltenen wie willkommen Stunden der Ruhe, um bei einem guten Roten die jüngere Vergangenheit zu resümieren.
Die ersten Monate als neue Seneschallin waren für Perrica wie im Fluge vergangen. Hatte man sie seitens der übrigen Angehörigen des Hofes wie auch der großen Familien und politischen Fraktionen zu Beginn noch weitgehend in Ruhe gelassen, da niemand wusste, ob sie ihr neues Amt würde dauerhaft bekleiden können, stürzten sich, kaum, dass die vormalige Landrichterin vom Markgrafen als Seneschallin bestätigt worden war, alle wie die Khoramsbestien auf sie. Jeder wollte sich bei ihr einschmeicheln, um entweder sich selbst, einen Anverwandten oder ein bestimmtes Anliegen im besten Lichte zu präsentieren oder sie dazu zu bewegen, die Wünsche anderer Bittsteller zum eigenen Vorteil abzulehnen. Ihre eigene Familie und deren Verbündete stellten dabei natürlich keine Ausnahme dar. Es hatte eine geraume Weile gedauert, bis Perrica diesen ‚Belagerungszustand‘ zumindest auf ein erträgliches Minimum reduzieren konnte, wobei die Kunst darin bestand, möglichst wenig Leuten dabei vor den Kopf zu stoßen und einen gewissen Weg der Mitte zu gehen. Man konnte ja nie wissen, wen von ihnen man später noch als nützlichen Idioten, Verbündeten, Sündenbock – oder alles zusammen – benötigen würde. Davon ab hatte die Adlige ein anderes Amtsverständnis als ihr Vorgänger: Sie war bestrebt, mit mehr Bedacht und auf Basis ihrer Ausbildung als Rechtsgelehrte zu agieren – vor allem aber als Dienerin und nicht als Gebieterin der Perricumer Lande.
Die eigentliche Arbeit, nachdem sie endlich dazu kam, ging der Alxertis nach kurzer Eingewöhnung bisher hingegen recht leicht von der Hand, was zum einen ihren eigenen beträchtlichen Fähigkeiten und Kenntnissen geschuldet war, zum anderen darin begründet lag, dass sie die Schlangengrube namens Markgrafenhof schon seit etlichen Götterläufen von innen her kannte – und sich im Laufe der Zeit den verdienten Ruf erarbeitet hatte, zu den größten ‚Schlangen‘ in nämlicher Grube zu gehören. Wenngleich die Senschallin nicht mehr gedachte, diesem Ruf fürderhin zumindest in Gänze gerecht zu werden: Nützlich war er trotzdem und daher wert, im Bedarfsfalle weiter gepflegt zu werden. Zupass kam Perrica aber natürlich auch, dass die anderen großen Familien und Fraktionen immer noch dabei waren sich neu aufzustellen, respektive zu positionieren und somit vorerst primär mit sich selbst beschäftigt waren. Dass dies kein Dauerzustand sein würde, war der mit allen politischen Wassern gewaschenen Adligen natürlich klar.
Dennoch galt es, jede Form von Selbstzufriedenheit und -überschätzung zu vermeiden. Genau das hatte letztlich zum Sturz der Rabicums geführt; der Schlagfuß, der den alten Zordan getroffen hatte, bildete hier lediglich den für alle sichtbaren Kipppunkt ihrer zuvor unangefochten erscheinenden Vormachtstellung in der Provinz.
Während die Edle ihre Gedanken schweifen ließ, fiel ihr Blick zufällig auf die kunstvoll gestaltete Urkunde an der Wand neben ihrem Schreibtisch, mit der ihre Aufnahme in den Orden von Korgond bestätigt worden war, darüber – ungleich beeindruckender – hing Ogerstark, das immer noch leise surrte, ein Geräusch, dass sie ständig an ihre Verpflichtung der Klinge gegenüber gemahnte. Kurz darauf hatte man sie sogar in das Ordenskapitel und damit in das Führungsgremium dieser Gemeinschaft gewählt; eine große Ehre, kein Zweifel, aber eine, mit der Perrica mittlerweile zu hadern begonnen hatte. Bisher war es ihr nämlich nicht gelungen, die Interessen Perricums dort angemessen zur Geltung zu bringen, was sowohl den anderen machtbewussten Persönlichkeiten im Kapitel, aber auch dem simplen Umstand geschuldet war, dass die Seneschallin weitab von den übrigen Entscheidungsträgern am Darpat saß. Die zweite Zusammenkunft des Bundes hatte ihr noch ein wenig Hoffnung gegeben, als man einen Sitz für den Orden gesucht hatte. Doch diese Zuversicht zerstob rasch, denn der gewählte Ort lag weit weg von der Metropole am Darpatmund. Somit blieben eigentlich nur die langwierige schriftliche Korrespondenz sowie der Austausch mit den perricumer Ordensmitgliedern, zumal die Alxertis es in Anbetracht ihrer vielen Verpflichtungen in der Heimat schon allein aus politischen Gründen für wenig klug hielt, immer wieder für längere Zeiträume ins Garetische zu reisen. Hierzulande brächte wohl kaum jemand Verständnis dafür auf, betrachteten viele Perricumer den Orden doch als eine rein garetische Organisation. Ganz abgesehen davon, dass das Land und Ogerstark sie hier haben wollten. Noch dazu musste sich die Adlige eingestehen, dass ihr zunehmend schlicht die Zeit fehlte, sich den Angelegenheiten der Gemeinschaft in angemessener Weise zu widmen – was weder für sie selbst noch für die Markgrafschaft zufriedenstellend war. Eine dauerhafte Lösung musste her.
Am folgenden Tag diktierte Perrica ihrer Schreiberin Dana von Ruchin einen Brief, siegelte ihn und hieß die Ruchin, ihn umgehend Ardo von Keilholtz zukommen zu lassen.
gegeben zu Perricum am 21. Praios des Jahres 1047 nach dem Falle Bosparans
Die Zwölfe und das Land mit Euch, Euer Hochgeboren und hochgeschätzter Bundesbruder!
Ich hoffe, diese Zeilen erreichen Euch bei guter Gesundheit und Ihr hattet samt den Euren einen praiosgesegneten Jahreswechsel.
Der Grund meines Schreibens ist, was unsere Gemeinschaft betrifft, leider von trauriger Natur. Wie Ihr wisst, hat mir seine Erlaucht Rondrigan Paligan die große Ehre erwiesen, eines der höchsten Ämter in seiner Markgrafschaft, das der Seneschallin und damit Vorsteherin seines Hofes und seiner Administration, anzuvertrauen. Stets war ich bestrebt, sowohl den Landen am Darpat als auch dem Orden von Korgond eine demütige, pflichtbewusste und vehemente Dienerin zu sein, was Ihr gewisslich bereits festgestellt haben werdet. Allein, in den letzten Monden musste ich mir eingestehen, dass meine bescheidenen Kräfte nicht ausreichen, beiden gleichermaßen gut dienen zu können. Dessen eingedenk sowie dem Umstande Rechnung tragend, dass es weiser ist, eine Sache ganz statt zweie halb zu erledigen, habe ich mich nach reiflicher Überlegung und schweren Herzens dazu entschieden, mit sofortiger Wirkung als Mitglied des Kapitels des Bundes zu Korgond zu resignieren. Als nunmehr einfache Ordensangehörige und Trägerin Ogerstarks wird es selbstverständlich auch weiterhin mein Bestreben sein, dem Bund im Rahmen meiner Möglichkeiten allzeit mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.
Ich bedauere diese Entscheidung persönlich sehr und wünschte, Euch und mir diese hätte ersparen zu können, doch machten die genannten Umstände sowie der Respekt vor unserer Gemeinschaft diesen Schritt leider unausweichlich.
Ich vertraue auf die Weisheit unserer Brüder und Schwestern, aus ihrer Mitte alsbald einen passenden Ersatz für die durch mein Ausscheiden entstandene Vakanz im Kapitel zu erwählen; dies sollte gemäß den Statuten durch möglichst viele Mitglieder geschehen. In diesem Sinne möchte ich Euch nochmal an meine Worte während unseres ersten Kapiteltreffens erinnern, auf dass Ihr sie beherzigen mögt, wenn es Euch gefällt.
In unverbrüchlicher Treue und höchster Wertschätzung,
Perrica Heliodane von Alxertis
Seneschallin der Markgrafschaft Perricum
Trägerin des Schwertes „Ogerstark“
