Geschichten:Wespennest - Wespenangriff
Anjun eilte mit schnellen Schritten durch die dunklen Gassen des garether Südquartiers. Er fühlte sich beobachtet. Irgendjemand folgte ihm. Aber er konnte nicht erkennen wer. Alles was er erkennen konnte war ein dunkler Schemen, den er sah, wenn er um eine Ecke bog und sich dabei umblickte.
Ob er zu der Gruppe gehörte, in die er sich einschleichen wollte? Konnten sie ahnen, daß er sie ausspionierte? Seit fast zwei Wochen hatte er diese Gruppe unter Beobachtung; hatte sich sogar mit ihnen angefreundet. Anjun hatte den Verdacht, daß sie ein Attentat auf einen wichtigen Adligen vorbereiten, aber sie wollten ihn nicht einweihen – noch vertrauten sie ihm nicht. Einmal hatte einer von ihnen sogar Haffax erwähnt und Anjun glaubte Bewunderung in seinen Augen gesehen zu haben. Nicht daß das was bedeuten würde – denn Anjun glaubte das auch einmal in den Augen von Balrik gesehen zu haben.
Jetzt war er auf den Weg in die Altstadt um Bericht zu erstatten, aber dann ist ihm dieser Schatten aufgefallen, der ihm folgte. Die Tore waren nicht mehr weit und Anjun beschleunigte seine Schritte. Würden sie ihn so spät noch durch die Tore lassen, fragte er sich, als er plötzlich einen stechenden Schmerz in seinem Rücken spürte und er zu Boden stürzte.
Der Schatten, der ihm gefolgt war, verschwand in einer dunklen Gasse und so konnte der Attentäter nicht erkennen, wie sich Anjun mit einem Bolzen im Rücken noch zum Stadttor schleppen konnte, wo die dortigen Wachen eiligst einen Medicus holen ließen.
Der Zwerg steckte gerade seinen erworbenen Handspiegel aus poliertem Messing weg und verließ den Laden. Quendan verstaute die Taler in einer kleinen Schatulle, die er unter der Theke stehen hatte. Er war zufrieden. Er hatte heute genug verdient, so daß er früher schließen konnte und so beschloß er ein wenig in den Kneipen am Hafen unten etwas zu trinken.
Er verließ den Laden, schloß die Eingangstüre hinter sich zu und marschierte durch die Straßen, grüßte Frau Lysminia, die hinter ihrem Stand Kräuter verkaufte, und lenkte seine Schritte zum Flinken Frettchen. Diese Taverne war ein geeigneter Ort um Neuigkeiten zu erfahren. Der Flinke Frettchen war zwar die Stammkneipe der Immanspieler, aber hier stiegen auch gerne Matrosen ab, die den Großen Fluß hinauf nach Ferdok segelten und ihren mageren Lohn für Bier und Alkohol ausgaben; und wenn sie angetrunken waren, redeten sie gerne. Aber nicht nur Matrosen kamen hier her, sondern auch andere Reisende, die mit dem Flußschiff unterwegs waren, wie Händler, Abenteuerer oder reisende Barden. Ein guter Ort um zu erfahren, was so in den Grafschaften und Städten flußabwärts geschah.
Quendan setzte sich an sein Lieblingsplatz in der Nähe der Theke. Dort konnte man gut hören, was so an anderen Tischen erzählt wurde. Das Meiste was er hörte, waren natürlich Belanglosigkeiten oder Seemannsgarn: So hörte er von Begegnungen mit Meerjungfauen aus dem Reich des Flußvaters – ein Mann behauptete einmal sogar allen Ernstes, er hätte den Flußvaters selbst getroffen –, von Ergebnissen des letzten Immanturniers in Havena oder daß der ehrenwerte bekannte Händler Ebelried seine Frau mit seiner Dienstmagd betrogen hatte oder dergleichen. Nichts wirklich weltbewegendes.
Doch eines erregte seine Aufmerksamkeit. Ein Matrose erzählte von der Ermordung eines nordmärker Oberst. Quendan setzte sich zu den Mann und lud ihn auf einen Ferdoker ein und erfuhr mehr. Dieser Oberst hieß Burghard von Zweibruckenburg und diente in der Flußgarde. Laut dem Matrosen wurde er hinterrücks mit einem Dolch ermordet und der Täter soll entkommen sein.
Das war nicht das erste mal, dass er davon hörte. Gut, bei den anderen malen hatte man behauptet er wäre ausgerutscht und im Fluß ertrunken von der Treppe gestürzt oder gar vergiftet worden; aber alle Geschichten hatten gemein, daß der Oberst gestorben ist.
Stunden später kehrte Quandan in sein Laden zurück und betrat die hinteren Räume. Er zündete eine Kerze an, holte Schreibfeder und ein Stück Papier heraus und schrieb die Neuigkeiten vom Tode des Oberst auf. Im hinteren Bereich hatte er einen kleinen Verschlag, in dem er Brieftauben hielt. Eine von ihnen würde diese Nachricht nach Gareth bringen.
Noch bevor er ganz fertig geschrieben hatte, näherte sich von hinten ein Schatten. Quendan hörte die leisen Schritte hinter sich und wirbelte herum, doch zu langsam. Der Eindringling konnte ihn an der Schulter verletzten, bevor Quendan sein verborgenes Messer ziehen und auf seinen Angreifer stürzen konnte. Wer mochte der Angreifer sein? Sicher ein Schläger aus Fuhrmannsheim. Der Kampf dauerte nicht lange, doch er war erbarmungslos. Quendans Verletzung machte es ihm fast unmöglich sich zu wehren, doch bevor er nach mehreren Dolchstichen zu Boden sackte, ist es ihm zumindest gelungen seinen Angreifer ebenfalls zu verletzen. Dieser verließ, mit einer üblen Bauchwunde, eiligst den Laden.
"Und wann werdet Ihr das Kleid fertig haben, Frau Prapaditse?", fragte Mechthild, die Edle von Mardramund, während Oleana die Maße nahm. "Für den Besuch beim Baron muß alles tiptop sein."
"In drei Tagen, Euer Wohlgeboren", antwortete Oleana, während sie die Länge der Arme abmaß.
"In drei Tagen? Ist es möglich, daß Ihr schon morgen das Kleid fertig habt? Der Baron will morgen Abend bereits kommen und ich brauche für den Empfang ein anständiges Kleid. Er hat sich einfach zu spät angemeldet!"
"Bedaure, Euer Wohlgeboren, aber so ein Kleid ist keine einfache Angelegenheit", meinte die Schneiderin. "Das braucht Zeit, damit es auch richtig gut sein soll." Davon abgesehen mußte sie noch die neue Robe des Ratsherrn fertigschneidern und auch die neuen Kleider seines Sohnes wollen noch gemacht werden. Mit drei Tagen war es auch so schnon recht knapp.
"Ich zahle den dreifachen Preis", meinte die Edeldame nur. "Und wenn Ihr das Kleid morgen habt, gebe ich noch etwas dazu."
Das war natürlich verlockend. Den dreifachen Preis! Oleana überlegte kurz. "Nun, ich denke, ich kann noch etwas verschieben und es so regeln, daß Ihr Euer Kleid morgen bekommt, Euer Wohlgeboren." Diese Worte zauberten ein Lächeln auf Mechthilds Gesicht.
Oleana steckte ihre Maßschnüre und Notizen weg. "Wir sind soweit fertig", sagte sie. "Wenn Ihr nun erlaubt, werde ich mich sofort an die Arbeit machen."
"Dann soll es so sein", meinte Mechthild und zog sich wieder an. Als die Edle die Schneiderei verließ, machte Oleana keine Verbeugung vor der Adligen – schließlich kannte sie als gut situierte Schneiderin ihren Stand. Stattdessen widmete sie sich sofort ihrer neuen Aufgabe. Elgor, ihr Schneidergehilfe, verbeugte sich allerdings durchaus und hielt der Edeldame auch die Tür auf, während er ihr einen schönen Tag wünschte.
"Elgor, hole die Stoffbahnen aus dem Lager. Und zwar die Kusliker Leinen." Oleana begab sich in den hinteren Bereich der Schneiderei, wo die Kleider geschneidert werden. Dort arbeiteten bereits Lares und Ingrid, ihre zwei Gesellen.
"Räumt alles zur Seite", befahl sie und die Gesellen blickten verwundert auf. "Wir haben einen anderen Auftrag und er muß morgen fertig sein! Also hopphopp!" Sie klatschte in die Hände um ihren Worten mehr Gewicht zu verleihen und sie sprangen sofort auf.
Sie würden die ganze Nacht hindurch arbeiten müssen, und wohl auch den ganzen morgigen Vormittag. Aber für den dreifachen Preis lohnte es sich! Stunden später, die Sonne war bereits untergegangen, klopfte es an der Tür. Oleana und ihre Gehilfen ignorierten das Klopfen. Schließlich war es mitten in der Nacht! Aber das Klopfen wollte nicht aufhören. Irgendwann wurde es Oleana zu bund: "Elgor, sieh nach, wer das ist. Und sag ihm, er soll morgen wieder kommen."
Elgor eilte in den Eingangsbereich des Ladens um die Tür zu öffnen und nachzusehen. Oleana hörte nur einen dumpfen Schlag und kurz darauf erschienen zwei dunkle Gestalten im Türrahmen. Der eine hatte einen blutigen Dolch in der Hand, der andere eine schußbereite Armbrust. Ingrid schrie auf.
"Was geht hier vor?", wollte Oleana wissen, doch der Fremde schoß seine Armbrust ab und traf sie in die Brust. In ihren letzten Atemzügen erkannte sie, wie ihre Gesellen versuchten zu entkommen, doch gelang es ihnen nicht. Sie wollte noch etwas sagen, warum, sie das taten, aber es kam nur gurgeln aus ihrem Mund hervor und sie spuckte Blut. Das letzte was sie sah war, wie einer der Mörder eine brennende Fackel in die Tuchballen schmiß.
Reichsstraße III
Pieno Caravita war auf dem Weg nach Perricum um den dortigen Heerestab um Aldron Brieftauben zu bringen, damit sie von dort per Taube schnell Nachrichten nach Gareth verschicken konnten. In den letzten Monaten wurden viele Nachrichten verschickt. Meistens wurden dafür natürlich die üblichen Botenreiter verwendet, doch auch Brieftauben waren in diesen Zeiten vermehrt in den Lüften zu sehen – oder gar elementare Wesen, das dieser Magier Hagenfeld in der Lage war zu beschwören, aber das war nach wie vor eine Seltenheit.
Auf dieser Reise kam er durch die Stadt Mardramund und dort bemerkte er ein abgebranntes Haus, an einigen stellen rauchte es noch und es lag der Geruch von abgebrannten Holz in der Luft. Offenbar hatte das Haus letzte Nacht gebrannt. Zwei Stadtgardisten sorgten dafür, daß hier alles seine geregelten Bahnen läuft.
"War vermutlich ein Unfall", gab der Stadtgardist Auskunft. "Falsches Hantieren von Öllampen."
"Und die Bewohner?", fragte Pieno nach.
"Sind im Brand umgekommen."
Kurze Zeit später schrieb er eine kurze Nachricht und band diese an das Bein von einem der Brieftauben, den er aus den Käfig geholt hatte und lies diesen frei. Von diesem Vorfall mußte Balrik erfahren, denn die Bewohnerin des abgebrannten Hauses war eines ihrer Augen-und-Ohren, eine Informantin, die sie mit Nachrichten versorgte. Pieno wußte dies zufällig, da er sie, als sie rekrutiert wurde, mit Brieftauben versorgt hatte.
Als Pieno die Stadt durch das Südtor verließ bemerkte er nicht, wie er an zwei Gestalten vorbei ritt, die eben ihre Pferde sattelten und ihm hinterher blickten; und kurz anschließend ebenfalls die Stadt in Richtung Süden verließen.
Gareth
"Bringt mir zwei Bier", rief Ramlosch zur Theke und wandte sich wieder dem jungen Mann, der mit ihm am Tisch saß, zu. "Es ist kaum zu glauben, daß du noch nie einen Ferdoker getrunken hast!" Der Zwerg schüttelte den Kopf. Als die Schankmagd die Krüge auf den Tisch stellte, schob Ramlosch ihm einen Krug zu. "Torben, ich sag dir, sowas mußt du mal getrunken haben. Es wäre sonst eine Sünde. Bei Angrosch!"
Ramlosch kam ursprünglich aus dem Kosch und liebte das Bier. Seiner Meinung nach gab es nichts besseres als den Ferdoker.
"Das sind große Sprüche, Ramlosch", lachte Torben. Dieser war noch recht jung, und kam aus dem ehemaligen Darpatien und stand erst seid etwa zwei Jahren in Diensten des Aufklärungsmeisters.
"Ha! So ist es richtig, mein Junge", rief der Zwerg aus, als Torben einen großen Zug nahm.
"Mmh", machte dieser und wischte sich den Schaum mit dem Ärmel vom Mund. "Du hast nicht zu viel versprochen."
"Sag ich ja", sagte der Zwerg und nahm selbst einen großen Zug.
"Ich glaube, ich werde heute noch mehr bestellen", meinte der Jüngere.
Doch der Zwerg runzelte die Stirn, nachdem auch er einen großen Zug genommen hatte. "Hey, warte mal", hielt Ramlosch die Schankmagd auf, als diese mit einem Tablett weiterer Biere vorbeieilte um die Gäste am Nachbartisch zu bedienen. "Habt Ihr da Zucker rein getan?", fragte er.
"Nein, mein Herr. Ist direkt aus dem Faß." Die Magd eilte weiter.
"Was los?", fragte Torben nach.
"Schmeckt irgendwie süßlicher als sonst", meinte Ramlosch, zuckte letztlich aber die Schulter und trank weiter. Vielleicht war es auch nur Einbildung gewesen, denn die anderen Ferdoker schmeckten keineswegs süßlich. Im Laufe des Abends hörte Ramlosch sich die Erlebnisse an, die ihm Torben erzählte. So war dieser während der kaiserlichen Hochzeit in Gareth in Begleitung des perricumer Hofmagiers unterwegs gewesen um irgendeinen Dichter zu jagen. Einen Dichter! Was war an diesem nur so schlimm, daß man ihn jagen mußte? Ramlosch hörte zu und lauschte den Erlebnnissen, die Torben ihm erzählte.
"Du und der Hofmagier vom Paligan?", fragte der Zwerg noch einmal nach, da er noch immer nicht glauben konnte, daß ausgerechnet er – Torben – mit so einer hochgestellten Persönlichkeit zusammen jemanden jagte. Und dann einen Dichter! Oder hatten sie doch einen Paktierer gejagt? Denn irgendwie kam beides in der Geschichte vor. Er konnte es sich nicht mehr merken. Ramlsoch hatte wohl doch schon zu viel getrunken.
Doch irgendwann machte Torben Anstalten aufzustehen und rieb sich am Bauch, während er das Gesicht verzog.
"Was isn los?", fragte der Zwerg.
"Bauchschmerzen", sagte Torben und eilte nach draußen auf den Abbort.
Ramlosch runzelte die Stirn: Tatsächlich hatte auch Ramlosch ein leichtes Grummeln in der Bauchgegend, aber nicht so schlimm, daß es erwähnenswert gewesen wäre. Er eilte Torben hinterher. Irgendetwas stimmte hier nicht.
Doch kaum hatte er Torben an der Türschwelle nach draußen eingeholt, schienen sich dessen Beine zu verkrampfen und der Junge viel vorrüber. Ramlosch sah, wie er Blut spuckte.