Geschichten:Wider eigenen Willen - Entspannung
Dramatis Personae
- Melina von Ehrenstein, Landvögtin zu Rubreth
Anfang Praios 1034 BF, Grafenturnier in der Reichsstadt Luring
Reges Treiben herrschte früh morgens auf dem Tjostplatz. Knechte und andere Bedienstete wuselten durcheinander, um das bevorstehende Turnier zu einem Festakt werden zu lassen. Melina von Ehrenstein, Vögtin von Gräflich Rubreth, hatte es sich einen Badezuber in ihr Zelt bringen lassen. Ein Kräuterbad vor dem Turnier, so hatte sie vor einiger Zeit festgestellt, tat ihr gut. Mit einem Tuch über den Augen lag sie nun entspannt in dem Zuber. Wie weit würde sie heute kommen? Ob das Los für sie heute einen Lanzengang mit Nimmgalf von Hirschfurten vorgesehen hatte? Gegen den Tunierritter hatte sie nicht den Hauch einer Chance, das wußte sie. Sie lächte still. Da waren sie wieder diese Gedanken. War es ihr immer noch wichtig, ihm nahe zu sein, ihm zu gefallen? Die Zeiten der mädchenhaften Schwärmerei sollten mit dreißig Götterläufen doch vorbei sein!
Sie erinnerte sich wie ihr Vater, Hal von Ehrenstein, sie das erste mal in voller Rüstung auf ein Pferd gesetzt und ihr eine Lanze in die Hand gedrückt hatte, als sie fast noch ein Kind war. Damals mochte sie die Rüstung überhaupt nicht. Aber er bestimmte, sie würde eine Ritterin werden. Und was er bestimmte, das geschah auch. So war es immer. Er verstand nicht, dass sie sich in dem Metall eingeengt fühlte, und dass sie nie Freude daran hatte, mit anderen das Schwert oder die Lanze zu kreuzen. Er verstand sie nicht, er hatte sie nie verstanden. Und doch, was ihrem Vater nicht gelungen war, schaffte Nimmgalf von Hirschfurten ohne Probleme. Er war schuld, dass sie Vergnügen am Tjosten gefand. Um ihm nah zu sein versuchte sie durch Eifer all das wettzumachen, was sie in ihren Lehrjahren versäumt hatte. Wieder lächelte sie. "Konzentriere dich!", sagte sie still zu sich selbst und spielte in Gedanken ihre Turniertaktik durch.
Sacht und von Melina unbemerkt wurde die Stoffbahn am Zelteingang zurückgeworfen. Eine vermummte Gestalt schlich herein und begab sich zum Frühstückstisch der Vögtin. Geschwind zog sie einen Flakon aus der Jackentasche und füllte eine durchsichtige Flüssigkeit in Melinas morgendliches Heißgetränk. Genauso unbemerkt wie sie gekommen war verlies die Gestalt das Zelt auch wieder.