Geschichten:Wie der Kahle Schirch den hartherzigen Grafen Hartsteen in eine Gnitze verwandelte

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Der große Krieg mit den Daimonen lag schon in weiter Ferne zurück. Der Frühling war wieder ein himmlisches Kleid, das an einem uralten Steindinge lebendig wurde. Also summte und sang jetzt auch der uralte Kahle Schirch sein Frühlingslied in die Lüfte den Zwölfen zur Ehre. Dann war er eine Weile hoch oben zu einem Steinklotz erstarrt am Hange stehengeblieben, die Seligkeit des neuen Frühlingslebens ganz in sich auszukosten. Ließ sich nur still von der Sonne bescheinen. Und horchte ewig: indessen das Aufbrechen der Knospen an Staude und Strauch und in Gras und Moose heimlich knisterte.

An diesem Tage hatten auch die Menschen unten im Tal Sonnenschein im Blute und Lebensmut genug. Den Bauern trieb es vor sein Kuhgespann auf die erwachenden Winterfelder. Die junge Wirtstochter von dem Appelhofe tänzelte mit feucht angeklatschtem Blondhaar mit zwei tüchtigen Holzkannen an den Wassertrog und sah sich um, ob nicht wenigstens die gackernden Hühner oder die Schar Sperlinge auf der einsamen Straße sähen, wie schön sie sich am Frühlingsmorgen tummelte.

Auch der weißhaarige, magere, gräfliche Herr auf dem Natterndorn räkelte sich mit verkniffenen, prüfenden Augen im Himmelbett in den Sonnenstrahl hinein. Sprang auf und hieß schon jetzt einen seiner vielen Diener sein Leibpferd satteln, was das Zeug hielt. Denn an einem solchen Frühlingsmorgen ist die junge Göttin in aller Blute gefahren und will hinausspringen. Und weder die arme Kuhmagd noch der sprödeste Burgherr kann sich in solchen Augenblicken halten, nicht aus der Rolle zu fallen und heimlich zu summen, wie eine glückliche, junge Fliegenmutter. So kam es also, dass der alte Graf Neydhart von Hartsteen sich eilig in die höchste Turmstube begab, noch gleich im schlohweißseidenen, wattierten Morgenmantel überm seidenen Hemde. Und dass er dort oben nur ganz selbstvergessen lange ins Frühlicht hinaus und fern auf die ganz in Gold getauchte Koppe starrte.

Der kahle Schirch hasste den Grafen. Der alte Edelmann war als ein hoffärtiger, jähzorniger Herr bekannt, der die Fronen seines Gesindes hart eintrieb und Bürger und Bauern verachtete. Der Schirch hasste ihn auch, weil er früh und spät auf den Beinen beständig hinter den grazilsten Rehböcken und den königlichsten, alten Hirschen des Feidewaldes herjagte, die er in ganzen Rudeln zur Strecke brachte.

Jetzt war Frühling. Und der gestrenge Edelherr stand im weißseidenen Morgenmantel bar und bloß in der Turmstube, starrte nur die weitschwingende Linie des Gebirges an, die wie ein fernes Schemen im blendenden Lichte lag. Und dachte: »Hinauf und hinan!« die Welt einmal aus der Höhe zu besehen, noch höher wie seine Burg und sein Herz. Und wie der stocksteife Rittersherr im langen, grauen Spitzbart endlich in seiner leichten Ritterrüstung und Helmzier gestiefelt und gespornt auf der besonnten Freitreppe stand, lachte er zum ersten Male barsch hinaus, weil er in dem Burghofe ein ganzes Fähnlein bunter Reiterei in der Frühlingssonne seiner harren sah. Ganz nur ausgefüllt von dem einen brennenden Triebe, hoch oben auf dem Riesenkamme des Feidewaldes mutterseelenallein durch die Frühlingssonnenwelt zu reiten, hatte er sich nur unversehens auf seinem Brendiltaler mit heller Mähne geschwungen. Hatte herrisch zurückgewinkt, dass die Schar Diener bliebe, wo sie wollte. War in die mächtigen Silberbügel gestemmt durch das Burgtor hinausgesprengt. Und war der alten Gräfin, die mit einem Fliederbusch im Goldhäubchen am offenen Burgfenster zu winken versucht, und der pikierten, runzligen Kammerfrau, die sich heimlich hinter eine Gardine gedrängt, bald aus den Augen.

Schon das dörflerische Frühleben hatte den weiberlaunischen Grafen gleich in leisen Verdruss gebracht. Der Dunggestank und das Hähnekrähen mit dem wüsten Gekläff frecher Dorfköter war seinem tänzelnden Brendiltaler ein paarmal so nahe gekommen, dass sogar das frohe Pferd unversehens hinter sich geschlagen. Und weiter oben hatten sich die Mienen des alten Grafen von Hartsteen in noch unbarmherzigere Falten gelegt, weil der in seine Arbeit vertiefte, plumpe, gebeugte Ackersmann, der am steinigen Dorfhange mit einem Kuhpfluge Furchen zog, seines grundherrlichen Erscheinens und Vorbeireitens gar nicht achtete.

Der alte Graf hörte das hohe, helle, jubilierende Klingen, das in den Lüften über den Kammwiesen wogte. War von seinem Pferde ins Gras niedergestiegen, hatte sich die steifen Glieder grollend ausgetreten und hatte jetzt auch dem Luftsänger im blauen Himmel eine Weile zugesehen und zugehört. Freilich konnte niemand wissen, dass der Kalhe Schirch heimlich zitterte, dem hartherzigen Rittersherrn gerade jetzt ein Schnippchen zu schlagen. Ließ erscheinen eine große Blumenwiese mit den herrlichsten Farben, die einluden sich zur Ruhe zu betten, wie auch der greise Edelmann es suchte. Aber da lag der blanke Rittersmann auch schon hinterrücks in der Moorlache drin. Mitten in Moorzotteln. Wappenrock und weiße Handschuhe triefend schwarz. Und der Herr rief natürlich kläglich nach seinen Dienern. Und rings nur einsames, weites, buntes, steiniges Sonnenland. In allen Fernen keine Menschenseele. Ein kleiner Erdmolch hob in der Nähe sein schwarzgelbes Köpfchen in die Luft und witterte. Aber der konnte unmöglich des besudelten Grafen Diener sein.

Da hatte sich der Graf zum Aufstehen aus der Pfütze und zu seiner Toilette schließlich selber bequemen müssen. Hatte sein Leibpferd persönlich herangeholt, gänzlich verbittert im Gemüte und hart die Lage verfluchend. Und hatte sehr spät den gespornten Stiefel wieder in den mächtigen Steigbügel hinaufgehoben. Da bemerkte er plötzlich fern in den Kammwiesen eine unglaubliche Liebesaffäre. Er stellte den Fuß noch einmal auf die Erde zurück. Und spannte gleich mit hartherzigem Blick. Es konnte gar kein Zweifel sein. Dort hinten im Licht saß auf einer morschen Holzbank, halb hinter einem Krummholzbusche verborgen, ein krummrückiger, klotziger Bauernknecht, der Gott in diesem Lenzlichte mit Liebesgetändel den Tag abstahl. Gar kein Zweifel, daß sich hier oben vor des erleuchten Herrn Augen ein junger Kuhknecht aus dem herrschaftlichen Gesinde... mit wem?... der strenge Herr traute wahrhaftig jetzt seinen Augen nicht... mit einem jungen Adelsfräulein im silberseidigsten Kleide Liebkosendes zu schaffen machte.

Da saß der jähzornige Graf plötzlich wieder fest auf seinem Brendiltaler angeklammert. Da hatte er dem frohen Tiere mit der hellen Mähne die Sporen nur so in die Weichen gehauen. Und schwang im Jagen gellend und pfeifend die langrollende Norbardenpeitsche, die er vor Aufregung kaum hatte aus der Sattelbandage lösen können. Ritt dröhnend über die Moorwiesen ins Weite. Schrie in den Lüften Befehle und Flüche. Ritt und ritt. Brüllte und fluchte im wildesten Hinrasen über des niedrigsten Knechtes frechste Frechheit. War in seiner ritterherrlichen, blinden Wut gar nicht mehr zur Besinnung zu bringen, obwohl der plumpe Bauer mit seinem Adelsliebchen nur immer wie der Sturmwind vor ihm her in die Ferne zog.

Und der bügelgestemmte, blankgepanzerte Adelshochmut wäre bis an das Ende der Zeit so in sinnlosem Wüten fortgeritten, wie der Mensch hinter dem Glücke her, wenn nicht der Kahle Schrich selber die fliegende Luftjagd satt bekommen. Bauer und Edelweib versanken plötzlich vor dem Grafen in ein Krummholzbuschwerk hinein. Da dachte freilich der von Zorn und Schweiß rauchende Graf die beiden erst richtig zu erjagen. Er war im Fluge von seinem dampfenden Rosse abgesprungen, Sumpflöcher und Blöcke und Knieholzäste wie ein langer, taumelnder Springer überstürzend, und wähnte sich endlich am Ziele. Zog die gewundene Knutenpeitsche hundertmal über den plumpen Rücken des verächtlichen Bauernklotzes und des ehrvergessenen Fräuleins her. Hörte ihr greuliches Jammergeschrei. Hörte zwar auch schon ein tolles Juchheen dazwischen. Und stockte.

Schlug noch sinnloser, und stockte wieder, die Augen weiter und weiter aufreißend, als seine Armkraft doch schließlich zu Ende ging. Und mußte nun erst erleben, daß nur zwei einsame, starre, graue Trollsteine vor ihm stumm und unschuldig in die Sonne ragten. Da waren die Blicke des hoffärtigen Herrn scheu und erschöpft in sich hineingekrochen, und sein Gesicht war länger geworden wie so ein alter Granitklotz selber. Vielleicht wäre da gar nicht mehr nötig gewesen, daß dem in seinen Grundfesten erschütterten Rittersherrn ein heulender Windstoß auch noch Bandelier und Helmzier samt der Knutenpeitsche vom Leibe gerissen und fortgetrieben.

Der alte Ritterherr von Hartsteen soll an diesem Tage klein wie eine Gnitze heimgekommen sein. Nicht auf seinem Brendiltaler. Den hatte der Kahle Schirch selber mit Geschrei wie ein richtiger Fuhrknecht über Stock und Stein zu Tale und in den Burgstall getrieben. Denn der Schirch hatte den hochfahrenden Edelherrn doch in seiner Gutmütigkeit davor bewahren wollen, in der ganz demolierten und vernichteten Herrlichkeit durch das Schloßtor einzureiten.

Er hatte also den alten Grafen zunächst nur als Mücke auf einer Wasserpfütze festgehalten und ihn dann auf dem Zweige eines jungen Apfelbäumchens in den Bachwellen weiter zu Tale fahren lassen, ohne daß der Graf überhaupt dabei wußte, wer er war und wie das alles zuging. Der hartherzige Edelmann war von diesem Frühlingsritt ganz wortkarg in seiner Burg wieder aufgetaucht. Er war aus seinen Gedanken seit der Zeit nicht mehr richtig aufzuwecken. Er war ganz kleinlaut geworden. Wenn er sprach, redete er ganz unverständliche Worte vor sich hin. Die Dienerschaft begriff niemals, was eigentlich passiert war.

Der Graf behauptete immer, daß er durchaus nicht mehr der Graf, sondern nur ein winziges Insekt wäre. Das hat er sich weder von seinem Leibarzt, noch von seinen liebsten Verwandten ausreden lassen. Mit diesem Worte auf den Lippen ist er auch dann sanft entschlafen.


(aus: Hesindian Quandt, Gesammelte Legenden der Hartsteener Lande, Hartsteen um 970 BF)