Geschichten:Wiedersehensfreude - Teil 3
„Lyn, Ra’oul,“ sagte Rondrigo hastig zu seinen anderen Gästen. „Kommt, wir wollen auf die Jagd gehen und sehen, ob wir nicht etwas Schmackhaftes für einen Braten heuer erlegen können. Es soll ein großes Mahl geben und auch die Leute des Gutes sollen feiern. Ich werde Travin das letzte Fass Bier aus dem Keller holen und an die Menschen hier verteilen lassen! So ein Ereignis sollte uns doch ein gutes Quastenbräu wert sein.“
Euphorisch drehte sich Rondrigo zu Cordovan. „Ihr seid mir natürlich willkommen auf der Jagd. Wenn Ihr wollt, lass ich Euch eine Saufeder bringen.“
Bei den Worten Rondrigos leuchteten Lyns Augen auf. Schon lange war sie nicht mehr jagen gewesen und die Aussicht darauf gefiel ihr. „Wegen mir kann es in Kürze losgehen, ich sollte mir nur etwas anderes anziehen.“ Dabei schaute sie kurz auf das Kleid, welches für einen Ausritt durch den Wald und die Erbeutung von Wild nicht wirklich geeignet war. Schnell eilte sie ins Haus, um sich umzuziehen. Derweilen begrüßte auch Ra'oul die neuen Gäste indem er sie alle nach nebachotischer Art auf beide Wangen küsste.
„Es freudt misch, dass Ihr endlisch da seidt. Rondrigo konnte es kaum erwartän. Eusch wieder zu sehen, und isch kann ihn versteh’n.“ Aufmunternd klopfte der Nebachote seinem Freund auf die Schulter. „Und jetzt entschuldigt misch, isch muss jemandän beim Umziehän helfen.“
Mit einem breiten Grinsen verabschiedete sich Ra’oul von den anderen und folgte Lyn ins Haus.
Dankbar darüber, dass ihr Bruder eingesehen hatte, dass sie ein anstrengende Reise hinter sich hatte, folgte Khorena zusammen mit ihrem jüngeren Bruder dem Diener ins Haus. Später würden sie noch genug Gelegenheit haben, alles zu berichten. Aber jetzt würden sie sich erstmal ausruhen.
Ein Knecht von vielleicht fünfzehn Lenzen, seines Zeichens wohl für das Wohl und die Betreuung der Pferde verantwortlich, eilte herbei und schleppte eine schlanke und wohl geschärfte Saufeder herbei. Keuchend reichte er diese dem Herrn vom Greifener Land, der den Spieß kurz in der Hand balancierte und dann anerkennend nickte.
Albern lächelnd wollte der Knecht sich zurück ziehen, als Rondrigos Worte ihm Einhalt boten. „Heda, wie wäre es, wenn er sich ein wenig beeilen würde?“
Das Unverständnis troff aus den Blicken des pickelgesichtigen Burschen.
„Aber,...“ stammelte er.
„Nichts aber, du Lümmel,“ schimpfte Rondrigo. „Soll die Baroness von Otterntal mit bloßen Händen auf die Sauhatz gehen?“ Als hätte das große nebachotische Ross die Stimmung seines Herrn aufgenommen, schnappte es wütend nach dem Gesicht des Jungen und verfehlte es nur knapp.
Völlig verunsichert nahm der Bursche die Beine in die Hand und eilte zurück zum Haus.
„Nä Rondrigo, wie mir scheindt wird där Bursche schon schnellär. Letzte Woche wurde är noch gebissän.“ flaxte Ra’oul auf Kosten des Knechtes.
Linea und Alaria hatten die Türe des Anwesens gerade durchquert, um sich ein wenig frisch zu machen und natürlich miteinander zu erzählen. Sie hatten Khorena und Quendan mitgenommen, um ihnen alles zu zeigen.
Mit hochrotem Kopf kehrte der Knecht zurück und brachte einen weiteren Spieß, den er Lyn reichte.
Ra’oul winkte ab und klopfte kurz auf den vollen ledernen Pfeilköcher an seinem Sattel. „Ich verlassä mich da liebär auf den gutän altän Bog’en. Und solltä där mal nischt raischän, dann habä isch noch die hier.“ Damit deutete der Krieger auf seinen kurzen, nebachotischen Reiterspeer, den er hinter sich am Sattel befestigt hatte.
Es fiel Rondrigo zwar schwer seine Geschwister nun schon wieder allein zu lassen, doch diesmal würden sie noch da sein, wenn er von der Jagd zurück kehrte.
„Auf geht’s!“
„JE’HA! Wär als letztes etwas erlegt gibt ainen aus!“
Die Reiter gaben ihren Pferden die Sporen und preschten gen Osten vom Gut und hinein in den Wald...