Geschichten:Winter im Feidewald - Füßetrappeln

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Dorf Schattenhain/Baronie Hutt, Winter 1036 BF

Der Wind hatte sich gelegt und in der eiskalten Nacht war kein Laut zu vernehmen – bis auf das angestrengte Atmen und das Knirschen von Schritten im Schnee. Ein gutes Dutzend Gestalten huschte wie Wölfe zwischen den Stämmen am Waldrand hin, gehüllt in alles, was bei einem Leben im Wald irgend zum Schutz gegen den Frost dienen konnte: dicke Mäntel und Umhänge aus schlecht gegerbtem Leder oder Fellen, geflickte und mit Gras gepolsterte Kittel und Tuniken, und zwei oder drei hatten sich in Ermangelung von Schuhen Birkenrinde um Füße und Unterschenkel gewickelt. Den halben Tag über hatten sie in ihrem Versteck in der Grummelschlucht darauf gewartet, dass die Späher zurückkommen und das Signal zum Losschlagen geben würden. Froh waren die meisten, dass es endlich losging und das stille Ausharren ohne die Wärme eines Feuers ein Ende hatte. Alle hatten sie Eis in Haar und Bart, die Nasen waren rot gefroren und so manch bläuliche Blässe rührte nicht nur vom Madaschein her. Doch in den Augen der meisten lag düstere Entschlossenheit. Die Erste in der Gruppe hielt am Ende des Gehölzes an und ließ die anderen aufschließen. Von der Ecke des Forstes etwa eine viertel Meile entfernt erhoben sich die Dächer des Fronhofs über die steinerne mannshohe Umfriedung, während der Rest des Dorfes nur von einem einfachen Flechtzaun umgeben wurde.

„Verdammich is das hell!“, zischte Camilla Fidubert zu und schaute missmutig in den klaren Nachthimmel, von wo das Madamal die Gegend in flüssiges Silber tauchte. Ihr hünenhafter Nebenmann zuckte nur mit den Schultern und griff die klobige Axt fester. Der Anführer der Bande, ein stämmiger Kerl, dessen Gesicht bis auf die dunklen Augen und die buschigen Brauen darüber von einem dicken breiten Tuch verhüllt war, wiederholte mit gedämpfter Stimme noch einmal die Aufgaben: „Fidubert und Rotfell, ihr beide kümmert euch um den Wächter und haltet euch dann am Dorfeingang bereit. Wurm und Darescha behalten die Häuser im Auge. Goldesel öffnet die Schüttbodentür und die anderen füllen die Säcke.“ Alle nickten. „Also los!“

Tiefgeduckt einer Schneewehe folgend, die sich über einen Feldrain gelegt hatte, huschten die Räuber näher an ihr Ziel heran, immer den hölzernen Söller über dem Tor des Fronhofs im Blick. Jeden Augenblick konnte der Wächter dort zu seinem Rundgang hinaus auf die umlaufende Galerie treten. Als sie bereits im Schatten der Mauer angekommen waren, hörten sie das Knarren einer Tür schräg über ihnen, gefolgt von eiligem Füßetrappeln. Geistesgegenwärtig ging Fidubert auf alle Viere und die Rotfell genannte Frau, deren wilde Locken unter einer geflickten Gugel hervorlugten, stieg mit einem Pfeil auf der Bogensehne auf seinen Rücken wie auf einen Schemel und linzte über die Mauer in den Hof, bereit den Alarm mit einem gezielten Schuss zu verhindern. Doch gleich darauf ließ sie den Bogen wieder sinken.

„Was is?“, erkundigte sich der Anführer der Schar.

„Der hat nen flinken Difar und is auf der Hüttn verschwundn, Abdulmar“, gab sie zur Antwort.

„Umso besser. Sieh zu, dass er dort bleibt. Der Rest: weiter!“

Rotfell kletterte auf die Mauerkrone und verschwand. Die übrigen Räuber überwanden den hölzernen Dorfzaun kurz darauf an einer anderen Stelle. Fidubert schlich in Richtung Dorfeingang davon, um den Fluchtweg abzusichern und die anderen pirschten sich zwischen den tiefen Schatten eines nachtschlafenen Gehöftes hindurch zum Anger vor, wo die Silhouette des Kornhauses aufragte, das Ziel ihrer Unternehmung. Das Gebäude wirkte turmartig: das Erdgeschoß war aus dicken Feldsteinen errichtet und darauf war ein weiteres Geschoss in Blockbauweise unter einem weit hervorragenden Dach aufgesetzt worden. Fenster gab es keine und der Eingang lag oben im Holzgeschoss. Keine Treppe führte hinauf und auch eine Leiter war nirgends zu sehen. Zudem verhinderte ein dickes Schloss das einfache Zurückschieben des schmiedeeisernen Riegels. Doch im Nu war der als Goldesel titulierte Bursche auf die Schultern seiner Kumpane geklettert und hatte sich zur Schwelle hinaufgezogen. Dort setzte er sich hin, kramte in seiner Gürteltasche und zog einen dicken Draht hervor. Mit diesem stocherte er eine Zeitlang vorsichtig in dem Schloss herum, wobei sein Gesicht zu den absonderlichsten Mimiken verzog. Schließlich stieß er ein zufriedenes Grunzen aus, steckte sein Einbruchswerkzeug weg und zog das Schloss ab. Gebannt folgten ihm die Blicke der Wartenden, als er den Riegel zurückschob und mit einem heiseren ‚Immer hereinspaziert‘ die Türe aufstieß. Einer nach dem anderen kletterten jetzt weitere Räuber nach oben und ein Rumoren hub im Innern des Schüttbodens an, dass die draußen Wache Haltenden immer nervöser wurden. Schließlich wurde ein halb gefüllter Sack aus der Tür nach unten gereicht und dort in Empfang genommen, dem alsbald ein zweiter und ein dritter folgten.

„Da!“, Wurm zeigte plötzlich in Richtung einer Scheune, aus deren Schatten sich eine Gestalt löste. Gerade wollte er das Alarmsignal geben, als er bemerkte, dass die Gestalt ihnen zuwinkte. Es war Rotfell. Schnell huschte sie zu ihren Raubgenossen hinüber.

„Alles klar?“, raunte Abdulmar.

„Alles klar, Boss“, kam die lapidare Antwort, doch das Gesicht der Halsabschneiderin kündete von irritierender Zufriedenheit.

„Was is passiert?“, misstrauisch beäugte der Anführer seine Kumpanin.

„Erzähl ich später.“ Um weiteren Fragen vorerst aus dem Weg zu gehen, griff Rotfell nach dem nächsten herab gereichten Sack. Da schlug unvermittelt ein Hund an. Licht erschien in einer sich öffnenden Tür und jemand rief: „Wer is da zu so später Stund‘? Was treibt ihr da?“

„Verflucht!“, zischte Abdulmar, der seine Waffe zog, „Raus mit euch und nichts wie weg hier!“

Zu dritt stürmten der Anführer der Bande, Darescha und Wurm auf ihren Entdecker zu, der angesichts der Fremden aus voller Kehle Zeter und Mordio schrie und in sein Haus zurück wich. Zugleich schoss ein zotteliger Köter an ihm vorbei ins Freie und warf sich den Angreifern zähnefletschend entgegen. Alarmiert von dem plötzlichen Kläffen und Gebrüll verließen die Räuber das Kornhaus mit einem gewagten Sprung aus der Tür in den Schnee hinab und hasteten den Dorfausgang entgegen. Mehr Lichter erschienen in den Fenstern, Türen wurden aufgerissen und Leute stürzten hervor.

„Eindringlinge! Diebe! Räuber!“, schallten Rufe durch die klare Nacht. Die solcherart Benannten brachen ihre Attacke ab und suchten das Weite, nachdem Wurm dem Kläffer einen Hieb mit der Keule versetzt hatte, der dem Tier wahrscheinlich sämtliche Rippen im Leib gebrochen hatte. Ein Pfeil von Rotfell traf einen näherkommenden Dörfler und Abdulmars Klinge ließ zwei oder drei andere weit zurückweichen. Dann rannten auch sie, was ihre Lungen und Beine hergaben, aus dem Dorf hinaus und über die Felder bis weit in den nahen Wald hinein. Wild wirbelte das Weiß unter den Füßen der Dahinjagenden und -stolpernden. Doch schließlich blieb das Keuchen und Rufen der Verfolger hinter ihnen immer weiter zurück und verstummte schließlich ganz. Sie hielten an und nachdem sie wieder Atem geschöpft hatten, sahen sie sich um. Der größte Teil der Bande hatte sich zerstreut und eine andere Richtung auf seiner Flucht eingeschlagen und war nirgends zwischen den kahlen Stämmen auszumachen.

„Die kommen schon zurecht. Camilla und Fidubert kenn sich aus und werdn sie den rechten Weg führen“, meinte Darescha, während Wurm lamentierte: „Aber zwei Säcke han diese Trottel stehnlassn, ich hab’s genau gesehn.“

„Pah, wenn du’s gesehn hast, warum haste dann kein gegriffn, Schlaumerker?“, ätzte Darescha.

„Weil ich mir’n Fuß verstaucht hab‘ un keine Lust hatte, mich noch mit so’nem Sack zu beschwern, wenn mir‘n Bauer gerad mit ‘nem Knüppl den Schädel einschlagn hat wolln. dumme Nuss“, versetzte Wurm beleidigt.

„Ihr beide haltet eure Mäuler!“, brummte Abdulmar, „hoffn wir, dasses für erstmal genug is.“ Dann schien ihm etwas wieder einzufallen und er wandte sich an die rothaarige Frau, welche gerade die Sehne ihres Bogens löste.

„Also Rotfell: Irgendwas is los, ich hab’s dir angemerkt.“

Die Angesprochene grinste: „Aye. Nachdem ich dem Wächter aufm Abort eins übergebratn hab, dass ihm hörn und sehn verging, hab ich der Schösserstube ein Besuch abgestattet und dabei das hier mitgehn lassn“, sie zog einen Lederbeutel unter ihrem gefütterten Wams hervor, griff hinein und fischte mehrere Geldstücke heraus. Die im fahlen Madaschein glänzenden Münzen waren neu und zeigten das Bildnis Kaiserin Rohajas.

„Volltreffer!“



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24. Hes 1036 BF zur nächtlichen Rahjastunde
Füßetrappeln
Stubentratschen


Kapitel 4

Türenschlagen
Autor: Steinfelde