Geschichten:Wissensdurst - Bildungskanon
Bredogar Eustachius von Parsenburg sah von seinem Schreibtisch auf, an dem er während der letzten zehn Minuten ungeachtet seines Besuchers verschiedene Schriftstücke gelesen und ein paar Briefe geschrieben hatte. Sein Besucher hatte sichtlich Probleme gehabt, die lange Wartezeit ruhig zu überbrücken. Immer wieder war er aufgesprungen und zum Fenster gestratzt, um gleich darauf in seinen Umhang zu greifen und ein kleines Kästchen aus Schildpatt zu ziehen, welches aber unter dem geraunten "Hier wird nicht geraucht" seines Gegenübers wieder in den Tiefen des Umhanges verschwand. Anschließend hatte er in ein kleines Büchlein gesehen, dieses sofort wieder weggesteckt und von dem, auf einem Seitentischchen stehenden, Wein genippt, nur um erneut aufzuspringen und zum Fenster zu eilen. Und bei all dem hatte es den Anschein gehabt, als würde sich der Meister der Mark nur noch tiefer in seine Angelegenheiten vergraben.
"Eine stattliche Agenda, wenn Sie mich fragen." Der Meister der Mark wies mit dem Kinn kurz zu einer Sammlung Empfehlungsschreiben, die der Besucher ihm bereits vor einigen Tagen mit der Bitte um eine Audienz zugesandt hatte.
Der gutaussehende weißblonde Hühne vor ihm nickte bestätigend und richtete die verwässert blauen Augen auf den kleinen Dicken mit der Halbglatze. "Und was genau, kann ich für Sie und die Ihren tun, Werter Herr Thamos Bragaleon von Idaijon?" "Euer Gnaden." Die Stimme gegenüber war weich wie ein Daunenkissen. Bredogar musste sich zurückhalten, dass nicht seine Wachsamkeit, wenn nicht mehr, stante pede einschlief.
"Da liegt ein Irrtum vor. Euer Exzellenz, der Herr. Mein Amt ist politischer, nicht theologischer Natur."
"Ich meinte mich selbst, Euer Exzellenz."
Ein deutliches 'In-den-Blick-Nehmen' der Korrespondenz folgte, dann sah der Meister der Mark erstmals auf und seinem Besucher direkt über die dicken Augengläser hinweg ins Gesicht: "Oh, verzeiht, Euer Gnaden. Auf Eurer Karte steht lediglich 'Gelehrter' zu lesen. Ich war mir nicht bewusst, dass ihr von einem der Tempel hierher gesandt seid." "Ich...", der Geweihte wollte augenscheinlich zu einer Erwiderung ansetzen, entschied sich aber dagegen. "Vielleicht sollten wir dieses Geplänklel anseit stellen und stattdessen auf den eigentlichen Grund meines Kommens kommen." Ein leichtes Schmunzeln ob des eigenen Wortspieles kräuselte die Lippen des gutaussehenden Geweihten, während seine Hände wie von selbst in die Umhangtasche flogen, das Schildpattkästchen hervorzogen und sofort wieder verschwinden ließen, ein kompliziert anzusehender Tanz, welcher allerdings ohne anerkennendes Publikum selbst aus den eigenen Reihen blieb.
Bredogar nickte, dann sortierte er ein wenig umständlich die vor ihm liegenden Papiere um und zog ein halb beschriebenes Bütten hervor, in das er sich augenblicklich zu vertiefen schien.
"Sie brauchen es jetzt nicht zu lesen. Ich kann es auch mündlich vortragen. Das geht schneller."
Der Meister der Mark lehnte sich, das plötzlich uninteressant gewordene Schriftstück immer noch in der einen Hand, zurück und blickte dem unruhigen Mann in die Augen. "Ich bitte im Namen der Kirche des Nandus darum, dass mir die Mark in Eurer Hand die Freiheit gibt, die Haushaltungen wie auch die Tempel der Mark zu besuchen und das Wissen und die Erleuchtung überall hinzutragen."
"Nun, wenn es weiter nichts ist..."
Der Besucher nickte erfreut und beugte sich auf dem ohnehin durch das beständige Auf und Ab schon genug malträtierten Sessel nach vorne.
"... dann werde ich Euch wohl nicht helfen können."
Der Nandusgeweihte riss erstaunt die Augen auf. "Aber..."
"Wie Ihr bereits aufmerksam vernommen habt, erstrecken sich meine Befugnisse mitnichten auf das theologische Gebiet. Somit sind mir bezüglich der Erlaubnis, euch Besuchsfreiheit in den Tempeln zu gewähren - oder, wie Ihr in Eurer Anfrage formuliert habt: 'die Möglichkeit, auch im Namen der Greifin die Tempel zu öffnen und zu inspizieren' - von Seiten der Geistlichkeit Schranken gesetzt. Ein Aspekt, den eure weltoffene Kirche mit ihrer Ausrichtung auch auf das freie politische Wort, wahrscheinlich lediglich nicht im Blicke hatte." Den kurzfristig einsetzenden Widerstand überhörte der Meister der Mark, der sich bereits wieder in den Brief vertiefte, während er weiter ausführte: "Schutz- und Geleitrechte wie hier erbeten, werdet Ihr wohl nicht benötigen. Die Edlen dieser Region sind offene, gottesfürchtige Menschen, die einem Geweihten, so er offen als solcher auftritt, immer Tür und Tor öffnen und Gastung gewähren. Und der einfache Bürger ist viel zu gutgläubig.., als dass er nicht einen Geweihten der Götter sehr hoch achten würde. Wiewohl, ich werde Euch zwei Gewappnete mitgeben, die sich um Euren Schutz sorgen werden." Das kurze Zögern inmitten des Satzes war durch eine kurze Notiz auf einen Zettel überspielt worden, dem ein Zug an der Klingelkette folgte. Der eintretende Sekretarius des Meisters der Mark nahm das Schriftstück an sich und verschwand ohne ein Wort.
"Die beiden Gardisten sollten Euch die Reputation verleihen, die Ihr erbeten habt, selbst wenn sie natürlich kein schriftliches Dokument darstellen."
"Ich..."
"Euer Gnaden brauchen sich nicht bei mir zu bedanken. Ich versuche nur hilfreich zu sein. Nichtsdestotrotz ersuche ich Euch, den angedachten Wunsch, die Tempel und Klöster der Mark zu besuchen, an Seine Ehrwürden von Dergelstein, den Illuminatus der Mark zu richten. Dies müsste in seine Zuständigkeit fallen."
Der Meister der Mark erhob sich hinter seinem Schreibtisch, schob die Empfehlungsschreiben seines Besuchers zusammen und reichte sie diesem in die ausgestreckte Hand. "Und dann wünsche ich Euch, Euer Gnaden, natürlich viel Erfolg bei Eurer Bildungsmission in unserer lieblichen Mark."