Geschichten:Wochen der Entscheidung - Die Diplomatie hat versagt
Hinterzimmer, Gasthof Wildwechsel, Mümmelmannshag, 17. Peraine 1032 BF
Hadrumir wartete gelassen. Er hatte alle Zeit der Welt. Schließlich öffnete sich die Tür. Luidor von Hartsteen wirkte seltsam blass und ausgemergelt – so als ob eine Krankheit ihn schon lange peinigte. Hadrumir runzelte die Stirn.
„Die Zwölfe zum Grüße, Hochgeboren!“ sprach Luidor leise aber bestimmt.
„Woher...? Die Zwölfe auch Euch zum Gruße, Hochgeboren.“ Hadrumir konnte seine Überraschung kaum verhehlen. In seiner Tasche hatte er die Ernennungsurkunde zum Reichsvogt zu Puleth.
„Ich habe genügend Freunde in der Staatskanzlei, die mich über die neuesten Ereignisse auf dem Laufen halten. Eine Ernennung in ein Kronamt ist kaum etwas, was lange geheim bleibt, auch wenn es ein Paligan versucht.“ Luidors Miene drückte kaum Begeisterung aus. Einen Moment schloss er die Augen und schien einen heftigen Schmerz zu unterdrücken. „Lasst mich mit solch diplomatischen Spielereien in Ruhe“, knurrte Hadrumir. „Die Diplomatie hat eh versagt.“
„Was wollt Ihr damit sagen?“ Luidor schaute Hadrumir offen ins Gesicht.
Auf Hadrumirs Miene spiegelte sich der innere Zwiespalt wider, der ihn zweifeln ließ. „Frostelin wird auf das Friedensangebot nicht eingehen. Eure Bemühungen sind gescheitert. Die Kampfhandlungen halten an. Hoerwahrd von Schwingenfels und seine Familie wurden von Odilbert gefangen gesetzt. Im Gegenzug haben wir Eure Schwester Halina und Haldora von Windischgrütz gefangen genommen.“
„Ihr habt meine Schwester als Geisel genommen? Ihr wisst, dass Halina mit Eurer Fehde nichts zu tun hat. Im Gegenteil, sie hat versucht, auf meinen unseligen Neffen Einfluss zu Euren Gunsten zu nehmen, wie sie mir in ihren Briefen schrieb.“
„Oh natürlich“, lachte Hadrumir auf, „ich wusste, dass Ihr dies sagen würdet.“ Luidor beugte sich vor und sagte mit ruhiger Stimme: „Dann lasst die beiden einfach frei.“ Ein bitteres Lachen entfuhr Hadrumir. „Das verlangt Ihr?“ Er begann im Zimmer des Gasthofes auf und ab zu gehen. „Nein. Sie sind beide Kombattanten in der Pulether Fehde. Frostelin hat geschworen, jeden meiner Familie zu töten. Ich kann Eurer Forderung einfach nicht nachgeben, auch wenn ich dies vielleicht wollte.“
„Ihr seid, wenn ihr mir die Bemerkungen erlauben wollt, Hochgeboren, ein wahrer hartsteenscher Sturkopf“, schüttelte Luidor den Kopf. „Ihr wisst, die Familie Hartsteen hat mit Eurer Fehde nichts zu tun, wenngleich ich Euren Unmut mehr als nachvollziehen kann. Auch glaube ich nicht, dass Ihr dem Haus Hartsteen die Fehde zu erklären wünscht. Ich denke daher, ein angemessenes Lösegeld unter dem Segen Phexens und Borons sollte ausreichen, damit beide Seiten ihr Gesicht nicht verlieren und die Situation nicht noch weiter aus dem Ruder läuft.“
Hadrumir hielt inne und lächelte triumphierend. „Wenn Ihr dies so seht, dann kann ich Eurer Bitte nachkommen – zumindest in Bezug auf Eure Schwester. Ich bin sogar bereit, Euch Eure Nichte zu übergeben.“ Hadrumir hob die Hand. „Doch dafür brauche ich Gewissheit, dass sich die Familie Hartsteen nicht in die Pulether Fehde einmischt. Auch dann nicht, wenn wir einen Angriff gegen die Familie Windischgrütz starten.“
„Ihr wollt einen Angriff auf Burg Ebenhain starten?“ fragte Luidor besorgt. „Ist nicht bereits genügend Blut geflossen und haben die Götter nicht genügend Seelen für ihre Paradiese bekommen?“
„Ihr habt gewisslich Recht!“, antwortete Hadrumir bestimmt. „Doch wenn wir nicht das bekommen, was vor Praios unser Recht ist, werden wir es uns erstreiten, wie es uns Rondra gelehrt hat. So leid es mir persönlich tut, aber Frostelin lässt mir keine Wahl.“
„Ich gehe davon aus, dass ihr jene Mitglieder der Familie Windischgrütz, die sich eine friedliche Lösung wünschen, schonen werdet, so wie es den Göttern gefällt.“
„Nun, wir werden jeden schonen, der sich nicht gegen uns stellt.“
„Und dann?“
Hadrumir straffte sich. „Die Güter der Familie Windischgrütz gehen in den Besitz meiner Verbündeten über. Von der Familie Windischgrütz darf nie wieder eine Gefahr für meine Familie ausgehen. Ich bin bereit, für diejenigen der Familie Windischgrütz Sorge zu tragen, die einer Kapitulation zustimmen. Auch wenn ich im Moment noch nicht weiss, wie diese Lösung aussieht.“
Luidor nickte unmerklich. „Und ich soll einfach so daneben stehen, während Ihr meine Neffen und Nichten angreift?“
Hadrumir sprach ruhig weiter. „Wenn Ihr diesen Angriff toleriert, lasse ich unverzüglich Eure Schwester samt ihrer Tochter Haldora frei. Die Natterndorner Fehde blutet dieses Land aus. Als hartsteenscher Sturkopf, wie Ihr mich zu nennen pflegt, und Ritter dieser Lande kann ich diesen Umstand nicht hinnehmen. Nach Eurem Verschwinden – nebenbei bemerkt würde mich brennend interessieren, wo Ihr gewesen seid – drohte Hartsteen in Anarchie zu versinken. Ich habe diese Anarchie vielleicht selbst mit zu verantworten, doch sehe ich Hoffnung für Hartsteen. Seien wir ehrlich, weder Ihr noch Geismar werden ein Urteil des Reichsgerichts gegen sich akzeptieren. Doch Ihr ehrt die Traditionen Hartsteens, Geismar tritt sie mit Füßen. Ich sterbe eher für meine Heimat mit dem Schwert in der Hand, als dass ich weiterhin den Krämer in Feidewald gewähren lasse. Solltet Ihr als Graf bestätigt werden, wird sich Geismar mit seinen Söldner furchtbar rächen und sollte er als Graf bestätigt werden, wird er dies ebenfalls tun. In beiden Fällen wird Hartsteen jemanden brauchen, der bereit ist, Grenzen zu übertreten. Ich könnte dieser Mann für Euch sein. Doch sobald diese Fehde ihr Ende gefunden hat, brechen neue Zeiten an. Die Zeiten eines Sighart von Hartsteen, eines Baerwolf von Hartsteen oder auch eines Hagen von Schwingenfels sind unwiederbringlich vorbei. Dann braucht Hartsteen jemanden, zu dem es aufschauen kann. Hartsteen braucht einen weißen, einen strahlenden Ritter. Es wird eine neue Generation von Rittern heranwachsen, die einen starken Führer braucht. Ihr, Luidor von Hartsteen, könntet ein solcher Ritter sein. Daher habe ich beschlossen, dass ich nur Euch als Graf von Hartsteen respektieren kann. Doch ich will auch meine Familie schützen. Frostelin hat deutlich gemacht, dass er meine Familie vernichten will. Dies kann und werde ich nicht zulassen. Die Pulether Fehde muss ebenfalls ein Ende finden. Wie ich schon sagte, ich bin ein Mann, der bereit ist, dafür Grenzen zu überschreiten und wenn diese Grenze ist, dass diese Fehde blutig enden muss, dann werde ich diese Grenze übertreten. Ihr gewinnt bei dieser Sache nur, doch greife ich Eure Familie an. Ich stelle Euch damit vor eine schwerwiegende Entscheidung. Doch für das Überleben meiner Familie ist der Angriff auf Ebenhain unausweichlich!“ Hadrumir lächelte zaghaft. „Doch ich will Euch noch weiter entgegen kommen!“ Er schob eine Mappe über den Tisch. „Dies sind die schriftlichen Bestätigungen meiner Verbündeten, dass sie Euch nach diesem Angriff den Lehenseid als Graf von Hartsteen leisten werden.“
„Und wie soll dieser Angriff enden?“
Hadrumir schaute Luidor direkt an und taxierte dessen Reaktion: „Mit Kapitulation oder Tod der Grützer! Akzeptiert Ihr die Bedingungen?“
Eine beunruhigende Stille entstand zwischen den beiden Männern. Schließlich sprach Luidor lächelnd mit leiser, aber bestimmter Stimme: „Einverstanden.“
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