Geschichten:Zwei Reiche, eine Hochzeit – Eine Knappe Widerwillen
Rommilys, Markgrafschaft Rommilyser Mark, Ende Peraine 1041 BF:
Die unverhofft ereignisreichen Hochzeitsfeierlichkeiten waren vorüber. Reto Eorcaïdos von Aimar-Gor blickte in den Gold umrandeten Spiegel. Die Anstrengungen der letzten Tage gruben sich deutlich in sein Gesicht. Seine Haut war fahl, seine Mimik ausdruckslos. Sein Blick wanderte zu dem schmächtigen Jungen neben ihm, der verunsichert in den Spiegel starrte. Reto wischte die müden Gedanken fort und lächelte den Jungen an. Genugtuung und Stolz sprach aus seinem Lächeln. Dies bezog sich weniger auf den Jungen selber, sondern vielmehr auf das was Reto als kaisertreuer Bürokrat in den letzten Tagen erreicht hatte. Er hatte es geschafft den Jungen neben ihm, einen gewissen Tolmario Silem von Aralzin aus gräflichen Hause, als persönlichen Knappen zu verpflichten.
Der Junge sollte ursprünglich im Zuge des Knappenaustausches der beiden Reiche nach Weiden geschickt werden. Mit diesem Schicksal konnte sich der Junge freilich nicht begnügen und so täuschte er seine eigene Entführung vor um sich dem zu entziehen um ein Leben fernab der Adelshöfe zu beginnen. Sein Traum war es Alchimist zu werden. Die anderen Knappen durchschauten die Machenschaften des Jungen und suchten nach einer Lösung, die sowohl im Geistes des Vertrages von Mantrash'Mor war, als auch den Bedürfnissen des Jungen gerecht wurde. Reto verstand es dabei, sich selber ins Gespräch und damit als Teil dieser Lösung zu präsentieren. Er bot an, eine Knappenausbildung zu gewährleisten, die dem jungen Tolmario viel Raum für seine alchimistischen Studien geben sollte. Denn Reto hatte mit Yaron von Altmark einen fähigen Alchimisten in seinen Diensten. Auch war die Gerbaldsmark deutlich Hesinde gefälliger als das mitternächtliche Weiden. So kam Reto unverhofft zu einem neuen Knappen.
Der Spross aus dem Grafenhaus von Bethana blickte voller Erwartung zu Reto herauf. Dieser legte väterlich seinen Arm auf die Schulter des Jungen. Der junge Horasier war ein wichtiges Pfand und vor allem ein Prestigegewinn für Reto. Doch empfand er für den Unglücklichen auch eine Verantwortung.
Ein Page öffnete die zweiflügelige Tür. Reto und sein neuer Knappe schritten gemeinsam in den großen Salon, wo bereits die anderen warteten. Tawil und Ramin saßen auf einem der weich gepolsterten Sofas. Auch sie sahen geschafft aus, hatten sie doch in den letzten Tagen viele Aufträge von ihrem Herrn erhalten und nur wenig Schlaf gefunden. Die Paginnen Irisa und Xanjida sprühten förmlich voller Energie. Für sie waren die Ereignisse sehr aufregend gewesen. Timshal stand wie immer etwas abseits und zeigte keine Regung.
„Meine Lieben, wir alle haben in den letzten Tagen hart gearbeitet. Während die anderen Hochzeitsgäste im vermeintlich heiligen Questenrausch verfielen, galt es für uns und unseren Mitstreitern einen kühlen Kopf zu bewahren und das Wohl des Reiches im Blick zu behalten. Es ist uns gelungen, einen Wertekodes für die Ausbildung der zwischen den Reichen auszutauschenden Knappen zu formulieren, der sich weitestgehend auf die garetischen Rittertugenden vom heiligen Altar zu Korgond bezieht.“ Die Anwesenden klatschten anerkennend. „Somit haben wir einen Präzedenzfall geschaffen, denn von jetzt an werden alle zukünftigen Knappen, die vom Mittelreich zur Ausbildung ins Reich des Horas geschickt werden – oder vice versa - nach diesem Kodex ausgebildet werden. Dieser Kodex wird für die Ewigkeit mit meinem Namen in Verbindung stehen!“
„Die Delegationen aus dem Horasreich und aus Weiden waren erstaunlich schnell zu überzeugen“, bemerkte Ramin an. „Was bemerkenswert war, gab es doch zwischen diesen beiden die größten Unstimmigkeiten.“
„Das wohl“, fuhr der Reichsvogt der Gerbaldsmark fort, „Dank unserer intensiven Recherche und vor allem unseres diplomatischen Geschicks ist es zu verdanken, dass wir bei den Formulierungen ganz deutlich unsere Agenda durchsetzen konnten.“
„Als Nebeneffekt hat sich gezeigt, das Aimar-Gor und Ochs durchaus fruchtbar miteinander arbeiten können. Was ich ebenfalls erstaunlich fand.“ Ramin strich sich über seinen reich bestickten Wams.
„Ein in der Tat erstaunliches Ergebnis der letzten Tage, doch mag dies nur temporär sein“, gab Tawil zu bedenken.
„Wie dem auch sei“, Reto räusperte sich, „ich habe nicht nur meinem Goldstück Yalsin seinem Schwertvater Basin von Richtwald übergeben, sondern ich konnte auch einen Schwertvater für seinen Bruder Rafim finden. Kein geringerer als Erlan Sirensteen von Irendor, Comto zu Bomed und Baron des Yaquirbruchs, wird sich dem Jungen annehmen. Meine Zusammenarbeit mit dem Delegationsleiter des Horasreiches hat sich - wie auch schon in Matrash'Mor – als äußerst fruchtbar erwiesen.“
„Nur Xanjida konnte nicht dem Perricumer Seneschall übergeben werden, da dieser aus Krankheitsgründen nicht anreisen konnte, wie es hieß.“ Ramin runzelte seine Stirn.
„Er wird sicherlich wieder genesen sein, wenn wir in Perricum eintreffen“, gab Reto mit fester Stimme als Antwort. „Ramin, darüber hinaus werden wir deinen Dienstherren auf dem Weg in die Reichsstadt in Rashia'Hal treffen. Du wirst ihn dann wieder nach Dürsten-Darrenfurt begleiten.“
Retos blickte wieder zu seinem Knappen herab. Es würde sich noch zeigen, wie wertvoll dieser wirklich für Reto sein würde.
Es blieb also wenig Zeit für Zerstreuung, denn am nächsten Tag wollte Reto mit seiner Entourage aufbrechen. Rommilys war kein Ort für ihn. Zu viel Gänsegeschnatter und frigide Ganter.