Geschichten:Zwei Reiche, eine Hochzeit - Denkt an die Kinder
Kaiserlich Halsmark, Junkertum Scheuerlintz, Ingerimm 1041 BF:
Durchdrungen von einer diplomatischen Natur war Varena sehr froh über den erneuten Friedensschluss zwischen den beiden Kaiserreichen gewesen. Nach all den Schlachten, Toten und Verstümmelten brauchte das Mittelreich eines mit Gewissheit nicht, den nächsten Krieg! Direkt nach den Verhandlungen in Mantrash’Mor hatte sie sich um eine Abschrift des Vertragswerkes bemüht und anschließend, anstatt lästiger Näharbeiten nachzugehen, diesen Zeile für Zeile durchgearbeitet. Höchst politisch, gewiss. Voll göttergefälligen Bezug, sicherlich. Triefend vor politischem Pragmatismus und, oh weh, dem Versuch ein Ideal aufzubauen so fern, tragisch! Strotzend vor traditioneller Denkweise und ohne jeden Anspruch etwas Neues, etwas Besseres zu schaffen, enttäuschend! Dachte denn nie jemand an die Zukunft, dachte denn nie jemand an die Kinder? Die Kinder, die nächsten Generationen die diesen Frieden weitertragen sollten und für die hier überhaupt nichts gemacht worden war! Ein Knappenaustausch, pah! Hatte einer der Hohen Herrschaften überhaupt einmal daran gedacht einen seiner eigenen Schützlinge zu befragen oder an seine eigenen Kinder gedacht? Dachte denn nie jemand an die Interessen der Kinder? Dass das Leben als Angehörige des Adels zutiefst von Politik geprägt war, damit hatte sich die attraktive Dame abgefunden. Alles war Politik, wo lernte ein Kind, was lernte ein Kind, bei wem lernte ein Kind. Politik, nichts als Politik und sie liebte Politik! Dennoch dachte nie jemand an die Kinder, war es denn unmöglich die Kinder nach ihren Wünschen zu befragen, bevor die Entscheidungen getroffen worden? Könnte man nicht alle Beteiligten glücklicher machen, indem man das Kind fragt was es als Erwachsener sein möchte, bevor man über das wo und bei wem entschied? Doch Neuerungen waren verpönt, oft verkannt und deshalb meist mit Ablehnung konfrontiert.
In den Ausführungen zum Knappenvertrag hatte die gescheite Dame eine Möglichkeit der Neuerung gesehen, die Chance kommenden Generationen ein Leben zu ermöglichen in dem sich Träume erfüllen konnten. Freudig hatte sie sich zurückgezogen als sie endlich eine Abschrift der vereinbarten Lehrinhalte für die Knappen in den Händen gehalten hatte. Umso bitterer fiel ihr erstes Fazit aus. Der Plan war Murks! Das Papier nicht wert auf dem er unterzeichnet worden war und war es erst recht nicht wert vervielfältigt zu werden.
Die Präambel delegierte lediglich die Verantwortung nach Oben, anstatt wie sonst üblich an die Erben. Eine Neuerung wohl war, doch getrieben von Machtinteressen und nicht vom Wunsch das Beste für den Schützling zu erreichen.
Auch wurde es nicht besser, Stolz! Was sollte das? Dort stand nichts von Stolz, nur von Geltungssucht! Wer besonderes Leistete wurde gewürdigt, das bedurfte keines Vertrages!
Wenn auch nicht ausgesprochen, so hatte man zumindest die Etikette, verklausuliert als Würde, aufgenommen. Die gleichzeitig aufgeführte Frömmigkeit hatte man jedoch nicht spezifiziert. Fromm vor Travia? Fromm vor Rondra? Wieso hatte niemand die Götterfurcht weiter bedacht? Handelte es sich nicht um die Grundregeln der ritterlichen Ausbildung und waren die Ritter nicht den Tugenden Rondras verpflichtet?
Treue gegenüber den Schwerteltern. Natürlich musste ein Knappe treu zu Schwertvater oder Schwertmutter stehen, egal wie aussichtslos die Situation auch sein mochte. Doch bei Rondra, erneut wurde von Ehre geschrieben, die Leuin – Schirmherrin der Ehre – jedoch nicht erwähnt.
Die Höflichkeit, war für Varena nichts anderes als eine Wiederholung. Etikette, wie sie bereits bei der Würde Erwähnung gefunden hatte. Allerdings waren diesen kleingeistigen Verfassern überzeugt gewesen nochmals genauer auszuführen, dass sich ein Ritter zu benehmen wissen musste.
Selbstverständlich war ihr verständlich was mit Großzügigkeit gemein war, doch war der Ritter Schild und Wehr der Schutzlosen. Vorbildung und Ideal der niederen Stände, in Tapferkeit wie auch Götterfurcht. Es war nicht seine Aufgabe jedem Bettler einen Taler zuzuwerfen. Nein, seine Aufgabe bestand darin ihn zu inspirieren sich aus seinem Elend zu erheben und neue Wege zu beschreiten! Dass ein Ritter standesbewusst auftreten musste, war für sie klar, dennoch war es löblich zu verdeutlichen was es bedeutete von Stand zu sein. Ebenso hieß sie es gut dass man Hesindes Gaben bedachte, waren sie doch Grundlage dafür auch ohne Waffengang eine Lösung zu finden.
In ihrem letzten Punkt wiedersprachen sich die Schreiberlinge jedoch bereits wieder selbst. Predigten sie doch Bescheidenheit, wollten zugleich aber bereits gerühmt werden weil sie es in den Sattel ihres Pferdes geschafft haben.
Wo aber waren die wichtigen Punkte geblieben? Wo waren die Fragen geklärt die alle im Vorfeld besorgt betrachtet hatte? Wo sprach man davon, dass ein Ritter an einer standesgemäßen Waffe unterwiesen wurde? Wo fand sich ein Hinweis darauf, dass er sich auf die Jagd verstehen sollte? Wo hatte man formuliert was Ehre, was Tugend für den Ritter bedeuteten? Und wieso hatte eigentlich niemand die Lehensführung in den Lehrplan aufgenommen, musste ein Ritter etwa künftig nicht mehr wissen wie er das ihm anvertraute Land und seine Bewohner verwalten und führen musste?
Verärgert hatte sie überlegt die Abschrift zu verbrennen und in einer Phiole aufzufangen, denn die Asche dieses Mistes war zum Düngen nicht geeignet. Eindeutig hatte man das Ziel verfehlt, eine wichtige Möglichkeit verstreichen lassen und den Göttern gelästert. Doch hatte sie sich rechtzeitig besonnen und würde als nächstes die Tempel der Zwölfgötter aufsuchen und dort dieses Missstand mit Geweihten besprechen.