Heroldartikel:Ende mit Schrecken
Das Meilersgrunder Hoch-und Krongericht verurteilt den Nandus-Geweihten Dartan Serpolet zum Tode. Das Urteil wurde am selben Tage vollstreckt. Die Eile war geboten, weil ein Nandus-Geweihter von der Mauer Alt-Gareths herab die Volksseele zu erschüttern versuchte.
Meilersgrund: Die Burggrafen hatten sich gar nicht erst eingestellt, um als Schöffen des Hoch-und Krongerichtes das Urteil über Dartan Serpolet zu fällen. Burggraf Oldebor von Weyringhaus hatte mit einem Verfahren gegen einen anderen Nandus-Geweihten zu tun, der übrigens mit Freiheit und Leben davonkam, Burggraf Alarich von Gareth-Sighelmsmark wollte nach der blutigen Nacht von Grafenstein seine Finger kein weiteres Mal in den roten Lebenssaft tauchen, und die anderen Damen und Herren des Zedernkabinetts zogen es vor, mit der ganzen unappetitlichen Angelegenheit nicht in Kontakt zu geraten.
So war es dem Ersten Gerichtsadvokaten und Landrichter der Kaisermark Alrik Leuwin von Trenck vorbehalten, dem Gericht zu präsidieren, in dem aus jeder Burggrafschaft ein Vertreter die Schöffenfunktion wahrnahm. Einige waren darüber recht glücklich, konnten sie sich doch am Pöbel rächen, indem sie stellvertretend den Horasier Serpolet hinrichten ließen – so sahen es der Sighelmsmärker Haushofmeister Elbrecht von Trenck, ein geborener Schüpplitz, und Giselhold von der Mühlen aus dem Retogau. Andere zagten eher, in dieser brisanten Situation urteilen zu sollen, auch noch an ihres Lehnsherrn statt - so etwa der Ochsenbluter Voltan von Heiterfeld oder die Alriksmärker Seneschallin Sheriane von Kaiserswohl. Glasklar und eiskalt betrachtete Raulwine von Luring-Rabenmund aus der Halsmark das zu sprechende Urteil (»Kopf ab und gut!«). Juristisch spitzfindig ging der Seneschall der Gerbaldsmark, Quinn von Rossenrück, den Prozess an. Mit ähnlich geschultem Sachverstand näherte sich des Raulsmärkers Sekretär Friedwart Wiesenbach dem Fall, wobei er sowohl wegen seines geringen Standes als auch wegen seiner vorgefassten Meinung (»Freispruch aus Mangel an Beweisen«) eher eine Randerscheinung des Geschehens blieb.
Unter größtem Druck stand freilich der Angeklagte selbst, ein Nandus-Stratege aus dem Horasreich, der in den Stab des Groß-Garetischen Heerbannes berufen worden war, weil der Reichsedle Balrik von Keres für ihn gebürgt hatte. Ein ausgewiesener Fachmann der Strategie und Taktik, war Dartan Serpolet dennoch nicht fähig genug, sich selbst vor dieser Verhandlung und ihrem Ende zu schützen. Gern hätte er dargelegt, dass er den Göttern treu ergeben und deshalb schon kein Verräter in Haffax‘ Diensten sein konnte. Er hätte auch ergänzen können, dass seine Berufung so frisch war, als die Eslamsgrunder Unruhen ausbrachen, dass er schlicht noch gar kein Geheimnis aus der Heeresleitung hätte verraten können, selbst wenn er das gewollt hätte. Aber man ließ ihn gar nicht zu Wort kommen.
Trenck erklärte, wegen der erdrückenden Last der Indizien sowie der monströsen Taten der Aufrührer sei es dem Ausländer Serpolet, der als Aufrührer vogelfrei sei und wie ein Geächteter zu nehmen wäre, nicht auch noch zu gestatten, seine Propaganda während der öffentlichen Sitzung des Krongerichtes zu verbreiten. Da murrte die Menge der Zuschauer, und dieses Murren war des Pudels Kern. Seit dem Morgen nämlich hallte die weit tragende Stimme des Nandus-Geweihten Olombo Patassa über Meilersgrund und Rosskuppel und predigte dem Volk seine Rechte und Rechtmäßigkeiten. Dazu nutzte der Mann die Tatsache, dass er sich auf der Alt-Garether Mauer auf dem Rechtsgebiet des Reiches befand, also nicht mehr Garetiens, allfolglich nicht an seinem Tun gehindert werden konnte. Und so scharten sich die Bürger und lauschten dem Geweihten, der nicht wirklich zum Aufruhr blies, aber dennoch keinen Zweifel daran ließ, dass zur selben Stunde im Krongericht ein Schandurteil gesprochen wurde. Die Leute, die da dem Mann auf der Mauer lauschten, nahmen das Wort auf, spürten den Zorn in sich wachsen und begaben sich schließlich einzeln oder in Grüppchen nach Meilersgrund, wo eine andere Menge dem Schauspiel des Gerichtsverfahrens beiwohnte.
Landrichter Trenck, der zunächst mit einigen billigen rhetorischen Mitteln die Menge gegen den Delinquenten eingenommen hatte, spürte, dass ihm die Menge langsam entglitt. Deshalb wurde das Urteil noch vor Mittag verkündet: »Tod durch den Strang!«
Zwar jubelte die Menge vorne dem Urteil zu, doch hinten schwoll das Murren und klang gar nicht mehr ab.
»Macht schnell!«, zischte Raulwine von Luring-Rabenmund, die erfahrenste Politikerin in der Runde, dem Richter zu.
Der gab die Worte an den Henker weiter: »Macht schnell!«
Serpolet wurde vom Gericht auf den Platz gezerrt und auf das Galgengerüst geschafft. Die Menge schwankte zwischen Staunen und Blutdurst auf der einen und Unwillen und Zorn auf der anderen Seite. Der Henker von Meilersgrund, dessen nackter Oberkörper vor stahlharten Muskeln strotzte und der als Meister des ›Richtens mit der trockenen Hand‹ galt (wann hatte er schon Gelegenheit, mal einen Delinquenten zu enthaupten!), wartete bereits mit der Schlinge für Serpolet, dem mit dem Würgegalgen schließlich alle Rechte eines Geweihten genommen worden waren. Routiniert legte der Henker die Schlinge um den Hals des Nandus-Strategen, dessen Blick in die Ferne schweifte, kurz darauf zog der Henker auch schon an dem Strick.
Die Menge brummte wie ein Wespennest, was den Richtern die Haare im Nacken aufrichtete: Ein wahrer Schrecken sei der Moment gewesen. Vor allem jener sich endlos ziehende Moment, in dem Serpolet mit den Beinen zappelte und am Galgen tanzte und doch scheinbar nicht zu sterben schien. Selbst bei den geifernden Gaffern in der ersten Reihe gab es einige, denen das Mitleid kam – doch wie erst fühlten jene hinten, die eigentlich am liebsten die Richter dort tanzen gesehen hätten? Da schritt der Kaisermärker Hausritter Marnion Efferdhold von Isppernberg beherzt zur Tat: Er sprang vor, umfasste die Beine Serpolets, so dass sie nicht mehr zappeln konnten, und hängte sich mit seinem Gewichte an dieselben – und knack! Serpolet war tot und der Schrecken zu Ende.
Die Menge ließ sich nun, da nichts mehr zu ändern war, mühsam zerstreuen, so dass die Richter sich nach einer Stunde nach Hause wagen konnten. Unzufrieden blieb der Henker, der zu dem schrecklichen Spektakel nur einen Kommentar hatte: »Diese Hinrichtung war eine Schande!«