Heroldartikel:Gefangen in Thargunitoths Reich - OZR in der Warunkei

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Aus dem Bericht des Taron Krämerkant

© A. Perkuhn

... Wir begannen also im Morgengrauen mit der Überschreitung der Grenze. Achtzehn Männer und Frauen waren wir, angeführt von seiner Exzellenz Adran von Bredenhag, Meister des Ordens, und dessen Stellvertreter Herdan Weisenstein von Dunkelbrunn, dem höchsten Waffenträger des Ordens. Jedermann war entschlossen, nicht ohne die verschollenen Gefährten zurückzukehren. Kurz vor unserem Aufbruch beschwor die Elfe Laurielle Sternenglanz einen magischen Nebel, der unseren Trupp vor feindlichen Blicken schützen sollte. Zudem trennte sich eine kleine Gruppe von uns – bestehend aus den zwei Rittern Hagen Dorc und Tifon Zweihand sowie Sylvana aus dem Blautann, um etwaige Wachen auszuschalten. Besonders Sylvana stand in dem Ruf, nicht nur eine Meisterin in der Heilkunst, sondern auch in der Beherrschungsmagie zu sein.

Stille umfing uns, als unser kleiner Trupp in die Nebelwand eindrang. Kaum ein Laut war zu hören, nicht einmal Vogelgezwitscher konnte ich vernehmen. Oh, ihr Götter, schier ewig schien unser Weg über die Grenze zu dauern. Fast zwei Stunden mögen wir geritten sein – oder waren es nur ein paar Minuten? Wer vermochte dies zu sagen, verhinderte doch den Blick zur Sonne der dichte Nebel, und als wir dann diesen endlich verließen, erwartete uns ein trüber Himmel, aus dem es unentwegt nieselte. Seine Exzellenz ließ uns, nachdem wir den Pass hinter uns gelassen hatten, in einem kleinem Waldstück rasten. Noch hatten wir von unserem Spähtrupp keine Nachricht erhalten. Einmal nur, während der Überquerung des Passes, tauchte Tifon vor uns aus dem Nebel auf, um uns mitzuteilen, dass man einige Wachen habe ausschalten müssen. Auch die Stimme von Wächter Dorc war einmal kurz zu aus dem Nebel zu vernehmen, als er offenkundig einen Söldner in Sicherheit wiegte. Während unseres Aufenthaltes in dem kleinen Wäldchen ließ seine Exzellenz Wachen aufstellen, wies jedermann jedoch an zusammenzubleiben; nicht lange wollte man verweilen, sondern lediglich die Rückkehr der Späher abwarten.

Gut eine Stunde dauerte unsere Rast, dann allerdings meldeten die Wachposten drei Gestalten, die in schnellem Galopp auf unsere Position zupreschten. Die scharfäugige Laurielle bemerkte es als erste: »Sie sind verletzt!« Tatsächlich, aus Tifons Schulter ragte ein Pfeil, Hagens rechter Arm schien seltsam verdreht und Sylvanas Beine zierten blutige Striemen. Viel Zeit für Erklärungen bließ nicht. Während Hagen sich seine rechte Schulter wieder einrenken ließ, wechselten Tifon, Sylvana und seine Exzellenz von Bredenhag rasch einige Worte. Ich konnte nur einige Brocken von ihrem Gespräch aufschnappen, allein es war offensichtlich; sie waren auf eine größere Anzahl von Wachen gestoßen, als man vermutet hatte. Man habe die Verfolger zwar abschütteln können, sie würden jedoch mit Sicherheit bald hier sein. Seine Exzellenz zögerte keinen Moment. Sofort gaß er das Zeichen zum Aufbruch.

Gerion Sturmfels, Hagen Dorc und Belan Taubenstein sollten die Nachhut bilden, um etwaige Verfolger aufzuhalten. Die Elfe Laurielle würde unseren Hauptzug anführen und, so hoffte man jedenfalls, uns vor den Häschern des schwarzen Drachen in Sicherheit bringen. Kaum waren wir wieder aufgesessen, da zog erneut Nebel auf, diesmal jedoch nicht von uns beschworen. Zudem war in der Ferne deutlich Hundegebell zu vernehmen. »Die Bluthunde haben unsere Spur aufgenommen«, hörte ich einen jungen Krieger leise neben mir flüstern. Sylvana ließ ihren Gefährten, einen großen Raben von pechschwarzer Farbe namens Lydia, aufsteigen. Das Tier würde einiges über unsere Verfolger und über unsere Nachhut herausbekommen, auch wenn ich der Sache eher skeptisch gegenüber stand. Was konnte ein Rabe, mochte er auch das heilige Tier des Herrn Boron sein, einem Menschen schon Sinnvolles berichten? Doch es stand mir nicht zu, Einwände zu erheben. Überhaupt verhielt ich mich die gesamte Zeit über recht still und beschränkte mich auf das Beobachten, war mir die gesamte Umgebung doch mehr als unheimlich, auch wenn mir die Natur nicht sonderlich anders als vor der Grenze erschien. Die unnatürliche Stille, der Nebel und die grausigen Erzählungen über die schwarzen Lande versetzten mich jedoch in Furcht. Und so hielt ich mich meist, wie mir geheißen. in der Nähe von Herdan Weisenstein auf.

Bei allen Göttern, ich ahnte ja nicht. was uns noch bevorstand! Einige Stunden mochten wir wohl so geritten sein. als der Rabe zurückkehrte. Das Tier flog heran. setzte sich auf die Schulter Sylvanas und neigte seinen Kopf gegen den ihren. Die Wächterin schloss die Augen, als lauschte sie einer Stimme, die nur sie hörte, und hoß dann plötzlich zu sprechen an: »Unserer Nachhut geht es gut, sie sind noch nicht von uns abgeschnitten. Lydia konnte unsere Verfolger nicht genau ausmachen, nur Schatten sehen, die uns folgen. Sie sind nicht nur hinter uns, sondern auch an unseren Flanken. Sie könnten uns längst eingekreist haben, wenn sie wollten.« Diese Nachricht war alles andere als beruhigend, und als wir eine kleine Lichtung erreichten, befahlen seine Exzellenz und Herdan Weisenstein uns, die Pferde zu stoppen und am Rande jener Lichtung ein Lager aufzuschlagen. Nicht länger wollte man dem Feinde davonlaufen, der offensichtlich ein makaberes Spielchen mit uns spielte.

Bald holte unsere Nachhut uns ein, Wachen wurden aufgestellt und endlich die Verletzten versorgt. Lange schien nichts zu geschehen, die Natur war friedlich, und ich nutzte die Zeit, um meine Notizen fortzuführen. Erst als nach mehreren Stunden die Dunkelheit ungewöhnlich früh hereinbrach, begannen vor allem die jüngeren Krieger unruhig zu werden. Ich hörte viele beten, und auch ich gedachte meiner lieben Familie und bat Praios den Götterfürsten, gut auf sie acht zu geben. Dann, urplötzlich, fast schon im Morgengrauen, ertönte über unseren Köpfen ein Schrei. Schrill durchdrang er die Dunkelheit und ließ uns das Blut in den Adern gefrieren. Ich hätte niemals gedacht, dass irgend etwas unter Praios’ Licht oder Phexens Mantel so schreien könnte. Doch beide Götter schienen hier schrecklich fern zu sein. Die Stille, die auf den Schrei folgte. erschien endlos. Jedermann war aufgesprungen und hatte die Waffen ergriffen, die erfahreneren Kämpfer lockerten die Muskeln, ich sah wie Weisenstein prüfend seine Klinge durch die Luft fahren ließ und hörte so manches Stoßgebet.

Dann richteten sich alle Augen auf die Dunkelheit, die uns umgab. Einige Sekunden lang schien nichts zu geschehen, bis wir plötzlich das Surren einer Bogensehne vernahmen. Im gleichen Augenblick ertönte der Kampfschrei von Sturmfels, der zusammen mit Laurielle eine der Wachen übernommen hatte. Doch noch bevor wir darauf reagieren konnten, brachen plötzlich die Niederhöllen über uns herein. Ein weiterer markerschütternder Schrei drang durch die Nacht und ein Etwas fuhr aus dem Himmel heraß zwischen uns. Alles, was ich sah, war ein großer Schatten, der ebenso schnell wieder verschwand, wie er aufgetaucht war. Was er hinterließ, war ein Bild des Grauens. In der Mitte der Lichtung, vom flackernden Lagerfeuer beschienen, stand ein Krieger des Ordens, den ich erst auf den zweiten Blick als den jungen Safix erkannte. Sein Gesicht bestand zur Hälfte nur noch aus einer Masse von Fleisch und Blut, sein Körper war von tiefen Wunden gezeichnet, aus denen das Blut heraussprudelte. Hilflos machte er eine Bewegung, mit dem Schwert, dann entglitt es ihm aus der kraftlos gewordenen Hand und fiel zu Boden. Mit der Linken schien er in der klaren Nachtluft nach Halt zu suchen, den er jedoch nicht finden konnte. Schließlich fiel er zu Boden, neben den leblosen Körper eines weiteren Kämpfers, aus dessen tiefen Wunden der Dampf aufstieg.

Einige Augenblicke herrschte Stille. Keiner von uns vermochte zu begreifen., was gerade geschehen war. Hagen fasste sich als erster. Mit einem Aufschrei aus Schmerz und Zorn sprang er in die Mitte der Lichtung, den Anderthalbhänder trotzig erhoben, blickte er gen Himmel. In der dunklen Nachtluft über uns war erneut ein beängstigendes Rauschen zu vernehmen, Hagen riss seine Klinge hoch, doch ach, was da neben ihn zu Boden fiel, war der verdrehte Leichnam eines weiteren Kriegers, des jungen Folmin. Gerade zweiundzwanzig Götterläufe mochte er gezählt haben, bis nun sein Leben in diesen dunklen Landen ein jähes Ende finden musste. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich mich angesichts dieser furchtbaren Ereignisse in meiner Angst zu Boden warf und mit geschlossenen Augen alle Gebete aufsagte, die mir einfallen mochten. Ich vermochte also nicht zu sehen oder zu hören, was als nächstes geschah. Alles, woran ich mich entsinne, ist, dass ich plötzlich hochgerissen wurde, die alles übertönende Stimme seiner Exzellenz Adran von Bredenhag in den Ohren, dass wir aufsitzen sollten. Ich wurde zu den Toten oder Verletzten geschleift, wo ich dabei half, diese auf die Pferde zu binden. Kaum war dies geschehen, saß ich auch schon selbst im Sattel und ritt in den gerade anbrechenden Morgen. Ich warf noch einen Blick zurück auf die Lichtung und sah, die Götter mögen mir beistehen, wie eine Unzahl von lebenden Toten über eine kleine Gruppe von Kämpfern herfiel, die offensichtlich unsere Flucht deckte. Ich sah, wie Hagen kühn seine Klinge schwang und einen Gegner nach dem anderen fällte und wie Tifon seine gewaltige Boronsichel mit tödlicher Präzision ins Ziel brachte.

Als die Lichtung aus meinem Blicke entschwand, forderten die Aufregung und all das Grauen ihren Tribut und mir schwanden endgültig die Sinne ...

Ein harter Stoß riss mich wieder in die Wirklichkeit zurück. Ich befand mich nach wie vor auf dem Rücken meines Pferdes. Irgendjemand hatte mir ein Seil um den Körper geschlungen und es am Sattel befestigt, auf dass ich nicht herabfiele. Es war inzwischen vollständig hell geworden, sofern man in diesen Landen überhaupt von Helligkeit sprechen konnte. Denn noch immer war der Himmel voller Wolken und noch immer fiel ein feiner Regen auf uns herab. Als ich mich umsah, erkannte ich die anderen. Neben mir ritt Gerion, das Gewand blutverschmiert, hinter mir konnte ich Hagen erkennen. Auch seine Exzellenz. Herdan Weisenstein und die anderen schienen wohlauf zu sein. Wir ritten auf einer kaum befestigten Straße, die an den Seiten von Buschwerk und vereinzelten Bäumen gesäumt war. Es war uns also gelungen zu entkommen, und noch immer flatterte das Ordensbanner trotzig im Wind. Kaum jemand sprach, und auch ich Wagte nicht, das Schweigen zu durchbrechen. Die letzte Nacht war wahrlich schrecklich genug gewesen, und ich hatte in diesen kurzen Stunden mehr an Grauen erlebt, als in meinen gesamten dreiunddreißig Götterläufen zuvor.

So ritten wir gut und gerne noch eine Stunde. Die Müdigkeit drohte mich langsam zu übermannen und meine Glieder schmerzten. Ich war derartige Strapazen, wie ich sie in den letzten Tagen durchleben musste, ja nicht gewöhnt. Und so war ich mehr als erfreut, als von Bredenhag endlich eine Rast befahl. Den Verfolgern schienen wir entkommen zu sein, und so glaubte ich, nun endlich eine Ruhepause einlegen zu können. Doch was wir auf der Suche nach einem geeigneten Rastplatz hinter der nächsten Biegung entdecken sollten, ließ mich alle Gedanken an Ruhe vergessen. Unseren Augen bot sich ein Bild des Schreckens und der Zerstörung: Ein Boronanger, geschändet und verwüstet! Umgestürzte und mit dämonischen Zeichen beschmierte Grabsteine sah ich ebenso wie aufgewühlte Gräber und aufgebrochene Särge. Was mit den Leichen geschehen war, konnte sich ein jeder vorstellen. Doch noch größer war mein Entsetzen, als mein Blick auf eine alte Trauerbuche fiel, die an den Boronanger angrenzte. An dem breiten Stamm des Baumes hing der Leichnam eines Boron-Geweihten, deutlich an seiner schwarzen Robe zu erkennen. Man hatte dem Ärmsten die Augen ausgestochen und seinen Körper an den Stamm genagelt. Auch die Brust des bis auf die zerschlissene Robe völlig Nackten hatte man mit unheiligen Symbolen beschmiert, wofür man augenscheinlich das Blut des Ermordeten verwendet hatte. Fassungslos und voller Wut starrte ich auf den geschändeten Leichnam. Einige der Krieger stießen wüste Flüche gegen die Vollbringer solcher Gräueltaten aus, andere hörte ich leise beten.

© A. Perkuhn

Plötzlich stieß Laurielle Herdan an und wies aufgeregt gen Süden. Dort stand zwanzig Meter von dem ehemals geweihten Boden entfernt eine Gestalt. Niemand von uns hatte sie bisher dort bemerkt, waren wir doch alle fassungslos ob der götterlästerlichen Tat, welche hier geschehen war. Doch auch die Gestalt kehrte uns den Rücken zu und schien unserer noch nicht gewahr geworden zu sein. Als wir uns vorsichtig näherten – man musste in diesen dunklen Landen doch immer und überall mit Gefahren rechnen – erkannten wir, dass es sich bei der Person um einen seltsam aussehenden Mann handelte, der vor einem frisch aufgeworfenen Grabhügel stand. Gekleidet war er in einen Waffenrock, der in den Farben Weiß und Rot gehalten war, dazu trug er dunkelrote Stulpenstiefel. Seinen Kopf zierte ein spitzer Hut, welcher mit fünf langen, bunten Federn geschmückt war. Am auffälligsten jedoch war die Drehleier, welche auf seinen Rücken gebunden war. Hätte wir uns nicht in den dunkeln Landen befunden, so hätte ich ihn ohne weiteres für ein Mitglied des fahrenden Volkes gehalten. Der Fremde, der offensichtlich im Gebet versunken war, blickte auf, als wir uns näherten, schien jedoch keinerlei feindliche Absichten zu haben. Er versuchte weder sein Schwert zu erreichen, das neben ihm im Boden steckte, noch sein Pferd, das in der Nähe friedlich graste. Auf die Fragen nach seinem Woher und Wohin antwortete er bereitwillig.

Sein Name war Thalian Jergus vom grünen Tann, seines Zeichens Barde. Er hatte die Reise in diese unwirtliche Gegend gewagt, um den noch immer göttergläubigen Menschen hier ein wenig Freude in ihr Leben zu bringen. Mit wenig Erfolg, wie er mit tiefer Trauer in der Stimme berichten musste. Beim Anblick unseres Banners erhellten sich seine Züge jedoch, fast schien es, als würde er es wiedererkennen. Und was der Barde nun zu erzählen wusste, sollte bedeutsam für unsere gesamte Mission sein. Thalian Jergus hatte an diesem geschändeten und ehemals heiligen Orte einen Sterbenden entdeckt, bei dem es sich, so ließ sich aus seiner Beschreibung schließen, um einen der vermissten Überlebenden des Greifenzuges handeln musste. Der Barde hatte erfahren, dass unsere nunmehr zu Partisanen gewordenen verschollenen Gefährten in nächster Zeit einen Angriff auf einen der berüchtigten Totenzüge Rhazzazors wagen würden. In diesen Zügen würden mächtige untote oder gar dämonische Wesenheiten bei Tage transportiert, um sie vor dem Licht des gerechten Herren Praios zu schützen.

Diese Nachricht sorgte wahrlich für Aufruhr, bedeutete sie doch nicht nur, dass die Gefährten noch lebten, nein, es bot sich zudem die Möglichkeit, dem Herrscher dieser verfluchten Lande eine empfindliche Schlappe beizubringen. Jedoch, wenn auch der Zeitpunkt des Angriffes nahezu bekannt war – am folgenden Tage sollte es geschehen, so berichtete Thalian – waren wir doch über den Ort, an dem der Überfall stattfinden sollte, im Ungewissen. Seine Exzellenz reagierte umgehend. Da jedermann sichtlich erschöpft war, wurde, war der Ort auch denkbar unpassend, zuerst einmal eine Rast befohlen. Den Körper des bedauernswerten Boron-Geweihten ließ Seine Exzellenz abhängen und in Decken einwickeln, wollte man ihn doch nicht in diesem geschändetem Boden zurücklassen. Danach rief von Bredenhag, nachdem rasch ein Lager errichtet worden war, alle Wächter des Ordens sowie seinen Stellvertreter in sein Zelt, wo man die Lage besprechen wollte und vor allem mit Hilfe einiger Karten den Ort des Angriffes der Unsrigen auf den Totenzug bestimmen.

Ich selbst vervollständigte meine Notizen und versuchte dann noch ein wenig Schlaf zu finden. Ich machte mir große Sorgen um den wohl unvermeidlichen Kampf, der uns erwarten würde, schließlich waren wir nur sechzehn Streiter (Thalian Jergus hatte beschlossen, mit uns zu ziehen), wobei ich mich kaum auf das Kämpfen verstand. Dennoch, trotz dieser beunruhigenden Gedanken, fiel ich, erschöpft wie ich war, sehr bald in einen tiefen Schlummer. Tritte gegen die Wand meines Zeltes und eine barsche weibliche Stimme ließen mich aufschrecken. »Heda, Schreiberling! Auf mit dir, es geht weiter!« Müde and zerschlagen kroch ich aus meiner Unterkunft und sah, dass sich das ganze Lager im Aufbruch befand. Obwohl ich mich kaum ausgeruht fühlte musste ich dennoch einige Stunden geschlafen haben. Der Himmel war aufgerissen, und die mir seltsam blass erscheinende Praiosscheibe zeigte an, dass es bereits früher Nachmittag war. Eilig half ich die Zelte abzubrechen, und eine gute halbe Stunde später ritten wir weiter.

Ich versuchte während unseres Rittes einige Informationen darüber zu bekommen, was zu unserem überstürzten Aufbruch geführt habe. Die meisten der Krieger schienen jedoch selbst nichts genaueres zu wissen. Lediglich von einem Streit zwischen seiner Exzellenz und Tifon erfuhr ich, die mit einer scharfen Zurechtweisung seitens Seiner Exzellenz beendet wurde. Als ich Hagen darauf ansprach, wurde ich recht rüde von dem Reichsritter zurechtgewiesen. Die Auseinandersetzung habe nichts mit dem so eiligen Abbruch unseres Lagers zu tun. Vielmehr habe Sylvana eine sehr beunruhigende Vision empfangen. Offensichtlich hätte irgend jemand unsere Spur aufgenommen. Mehr vermochte ich nicht in Erfahrung zu bringen, da die anderen Wächter des Ordens sich mir gegenüber ausschwiegen. Tatsächlich wurde überhaupt wenig gesprochen. Lediglich von Bredenhag gab von Zeit zu Zeit einige knappe Befehle, die von den anderen schweigend befolgt wurden. Es war mehr als deutlich, dass Unfrieden zwischen einigen der höheren Ordensmitglieder herrschte. So ritten wir gut und gern drei Stunden, und ich begann meine schmerzenden Knochen nun wieder deutlich zu spüren. Sylvana ließ des öfteren ihren schwarzen Raben zu Erkundungsflügen aufsteigen, und auch Magister Belan Taubenstein versuchte mit Hilfe seiner magischen Kräfte unsere Umgebung zu erkunden.

Wie ich von einer jungen Kriegerin erfuhr, war es den höheren Ordensmitgliedern während unserer Rast gelungen, den wahrscheinlichen Ort des Angriffes unserer verschollenen Gefährten auf den Totenzug Rhazzazors zu lokalisieren. Wir waren nun unterwegs zu jener Stelle, um dort zu rasten, die Gefährten zu erwarten und mit ihnen gemeinsam den Überfall durchzuführen. So war es zumindest geplant, doch es sollte anders kommen ...

Als die Praiosscheibe schon zu sinken begann und wir unser Ziel fast erreicht hatten, tauchte Gerion, der mit Laurielle und Herdan die Vorhut gebildet hatte, aufgeregt winkend vor uns auf. Sobald wir ihn erreicht hatten, sahen wir den Grund für seine Bestürzung: Auf der Wegkreuzung unter dem Hügel, auf dem wir uns befanden, tobte der Kampf. Ein Zug von sechs schwarzen, geschlossenen Wagen war durch eine Blockade von Baumstämmen und Felsbrocken zum Anhalten gezwungen worden. Von beiden Seiten der Straße stürmten angreifende Reiter heran, die wir sofort als die verschollen geglaubten Gefährten erkannten. Ihnen entgegen standen Mitglieder der Drachengarde, jener Einheit, die im Krieg zum Feind übergelaufen war und nun in den Diensten des schwarzen Drachens stand. Einige dieser Abtrünnigen lagen bereits, von Pfeilen und Bolzen gespickt, leblos im Staub. Ganz offensichtlich hatte der Angriff früher, als Thalian berichtet hatte, stattgefunden. Seine Exzellenz von Bredenhag gab einige rasche Befehle, und schon stürmte unser Trupp in Keilfonnation voran. Noch waren die zwei Dutzend Drachengardisten unseren Verbündeten zahlenmäßig leicht überlegen, doch mit unserem Eintreffen änderte sich dies erheblich. Wie ein Donnerschlag brach unser Angriff über den Gegner herein, um den Verrätern den heiligen Zorn der Göttin zu bringen.

Ich selbst hielt mich allerdings, wie ich zu meiner Schande gestehen muss, vorerst vom Kampfe fern. Doch, mag der geehrte Leser nun auch von mir enttäuscht sein, so stellte diese meine Feigheit doch sicher, dass er nun einen vollständigen und detaillierten Bericht über die Schlacht vor sich hat, bin ich doch ein Mann der Feder und nicht des Schwertes. Der Kampf war wahrlich gewaltig. Die meisten der Gegner fielen schon beim ersten Ansturm. Ich konnte beobachten, wie Magister Taubenstein seine geballte Faust auf einen angreifenden Gardisten richtete, welcher augenblicklich, wie von einem harten Schlag getroffen, aus dem Sattel gerissen wurde. Ich sah unseren Bannerträger Rowan vom Born blitzartig mit seinem Rapier einen Gegner um den anderen niederstrecken, Gerion, wie er unter dem Hieb eines Angreifers wegtauchte und diesem dann mit einem kraftvollen Schlag den Schädel spaltete und natürlich von Dunkelbrunn und seine Exzellenz, die beide ihre Klingen mit unglaublicher Präzision zu führen wussten und denen sich kaum ein ebenbürtiger Gegner entgegenzustellen vermochte. Doch auch die jüngeren Krieger und auch Thalian fochten brav und hielten sich recht wacker, und unsere Verbündeten standen ihnen in nichts nach. Besonders die Anführern unserer vermissten Gefährten, eine große breitschultrige Kriegerin, fegte mit gewaltigen Hieben ihres Streitkolbens die Feinde beiseite, und der Magier neben ihr schickte einen Flammenstoß nach dem anderen in die Reihen der Gegner.

Es sah wirklich alles nach einem Sieg der unsrigen aus. die wenigen verbliebenen Drachengardisten hielten sich nur noch mit großer Mühe, und schon begann ich die Götter für ihren Beistand zu preisen, als die Schlacht plötzlich eine unerwartete Wendung nahm.

Ich, der ich mich abseits des Kampfes hielt, sah sie als Erster. Drei Dutzend Reiter in schwarzer Kluft, die direkt aus der untergehenden Praiosscheibe hervorzureiten schienen. ›Die Golgariten‹, schoss es mir durch den Kopf und erneut wollte ich einen Lobgesang auf die Zwölfe anstimmen, als mir plötzlich in den Sinn kam, wo wir uns hier befanden. In den schwarzen Landen war ein solcher Zug der Diener Borons ja wohl eher selten anzutreffen. Und als die Reiter näher kamen, sah ich, dass diese wohl viel eher einer dunkleren Macht dienten. Schlimme Wunden zeichneten die Leiber, leere Augen blickten aus zum Teil bereits völlig vermoderten Totenschädeln. Diese Golgariten waren untot!

Angesichts dieser neuen Gefahr änderte von Bredenhag sofort die Taktik. In Windeseile wurden Fackeln entzündet und einige der Unsrigen schickten sich an, die schwarzen Wagen mitsamt ihrem unheiligen Inhalt zu entzünden. Die restlichen Mitglieder unserer beiden Trupps begannen einen strategischen Rückzug zurück auf die gegenüberliegenden Hügel. Dort wollte man sich dem Angriff der feindlichen Reiter stellen. Jedoch, es kam anders. Die falschen Golgariten zügelten plötzlich ihre nachtschwarzen Pferde und stoppten in einigen hundert Schritt Entfernung. Der Anführer dieser verruchten Schar schien einige Worte mit der Person neben sich zu wechseln, fast hatte es den Anschein als liebkose er sie, doch auf diese Entfernung mochte ich mich auch getäuscht haben Urplötzlich fegte ein Windhauch von den Untoten kommend mitten zwischen unsere tapferen Streiter und richtete dort ein unbeschreibliches Chaos an. Ich selbst vermag nicht zu erklären, was dort vor sich ging, allein um irgendeine Form von unheiliger Magie schien es sich gehandelt zu haben. Zumindest sah ich, wie beinahe ein jeder unserer Kämpfer von dämonischen Schmerzen schier überwältigt zu werden schien. Wunden, die längst verheilt waren, platzten wieder auf, Pferde scheuten und warfen ihre Reiter ab, und der gesamte Rückzug geriet ins Stocken. Doch nicht nur unsere Mannen traf es, auch die verbliebene Hand voll Drachengardisten wurde von diesem dämonischen Wirken schier überwältigt. Nun konnte auch ich nicht mehr länger an mich halten. Ich empfand es als meine Pflicht, meinen Kameraden zu helfen, und kurzerhand nahm ich all meinen Mut zusammen, bat Praios um Beistand, gab meinem Pferd die Sporen und ritt mitten in das Chaos hinein. Ich ergriff die Zügel eines herumirrenden Pferdes, dessen rechte Flanke aufgerissen war und aus dessen Wunde Eiter und dicke, weißliche Maden austraten, und zerrte die nächstbesten zwei Gefährten hinauf. Es waren Tifon und Belan, beide mit schmerzverzerrtem Gesicht, und auch aus ihren Wunden krochen dickliche Maden. Ich riss mein Pferd herum und suchte, wie jedermann sonst, mein Heil in der Flucht. Dieser dämonische Angriff schien unsere Leute gleichennaßen geschwächt als auch demoralisiert zu haben. Wir hatten die Hügel erreicht, und noch immer hatten unsere Gegner nicht reagiert.

Langsam formierte sich unsere Nachhut, die den Rückzug sicherstellen sollte. Sylvana konzentrierte sich und schien alle ihre noch verbliebene Kraft in einen gewaltigen Zauberspruch zu legen. Einige magische Gesten, ein Wort der Macht, und ein Blitzstrahl schoss hoch in den dämmernden Himmel hinaus. Nur Augenblicke später bildeten sich über den Köpfen der untoten Reiter tiefschwarze Wolken, ein dumpfes Donnern war zu vernehmen und direkt über unseren Feinden brach ein Unwetter mit geradezu mörderischer Zerstörungswut herein. Fasziniert stoppte ich mein Ross und sah mir dieses Schauspiel satuarischen Ursprungs an. Hagelkörner so groß wie Kinderhände prasselten auf unsere Gegner hernieder. Wenn diese Naturgewalt sie nicht aufzuhalten vermochte, was vermochte es dann? Doch ach, wie sollte ich mich weder einmal getäuscht haben, wie so oft hatte ich zu früh jubiliert.

Aus dem Unwetter heraus kam eine Gestalt geritten. In eine dunkle Rüstung gewandet, einen Rabenschnabel in der Rechten, hielt sie auf uns zu. Jetzt erst erkannte ich ihn, und diese Erkenntnis traf mich wie ein Schlag. Er war es, der gefallene Golgarit, er, dem man es am wenigsten zugetraut hätte, unter dem schwarzen Drachen zu dienen: Lucardus von Kemet, der ehemalige Großmeister der Ritter Borons. Er war es, den Sylvana in ihrer Vision gesehen hatte, er war derjenige, der unsere Spur aufgenommen hatte. Und die Person neben ihm. die vor kurzem den so verheerenden dämonischen Hauch beschworen hatte, war jene Untote, die Lucardus liebevoll seine ›Göttin‹ nannte! Nun geschah alles sehr schnell. Mit den letzten Strahlen setzten sich die unheiligen Reiter in Bewegung. Sylvana, bis auf das Äußerste erschöpft, brach zusammen. Thalian Jergus zog sie auf sein Pferd. Hagen und Tifon preschten mit gezogenen Klingen los, die falschen Golgariten aufzuhalten. Bei allen Göttern: Zwei gegen drei Dutzend!

Lucardus von Kemet war rasch heran. Rowan der Bannerträger und Galacher ben Drou, ein kräftiger Krieger von den Zyklopeninseln, die beide ebenfalls zu den Ordensältesten gehörten, stellten sich ihm entgegen. Stahl blitzte auf, Blut spritzte, Knochen splitterten. Dann sah ich, wie Rowan und Galacher beide leblos auf den Rücken ihrer Pferde lagen. Lucardus von Kemet, von zwei tiefen Hieben gezeichnet, hob seine blutige Waffe triumphierend gen Himmel, und ich sah wie sich die Wunden an seinem Körper wieder schlossen. Dann riss der Verdammte sein Pferd herum, um sich Tifon und Hagen zuzuwenden. Jene hatten sich wacker gegen die Untoten gehalten, mehrere leblose Leichname lagen im Staub, allein, den Ansturm aufzuhalten vermochten sie nicht. Die dämonischen Reiter hielten weiter auf unsere fliehenden Truppen zu, die allerdings fast alle den Waldrand schon erreicht hatten, während der gefallene Großmeister der Golgariten sich anschickte, unsere nächsten zwei Gefährten niederzustrecken, Ritter Dorc und Ritter Zweihand.

Stahl traf klirrend auf Stahl, und ein Aufschrei entrang sich meinen Lippen, als ich sah, wie Tifon Lucardus’ Rabenschnabel mit seinem Anderthalbhänder entzweischlug, wie auch seine Klinge zerbarst, und dann Hagens gewaltiger Schlag dem nun wehrlosen dämonischen Reiter tief in die Seite fuhr. Lucardus von Kemet wurde von Hagens Hieb vom Pferd geschleudert und blieb reglos am Boden liegen. Im selben Moment setzten unsere verbliebenen Magier alle noch verfügbaren Kräfte frei, um den Angriff der falschen Golgariten zu zerschlagen. Belan schleuderte einen magischen Wind in die Reihen der Gegner, der die Reiter von ihren Pferden riss und der Magier unserer Verbündeten, Phelix Angbarer war sein Name, wie ich später unter traurigen Umständen erfuhr, hielt die Untoten mit astraler Kraft am Boden. Unsere Flucht war beinahe gelungen, als die letzten Strahlen der Praiosscheibe verschwanden und die Dunkelheit hereinbrach.

Kaum war das Licht des Götterfürsten gewichen, als die Wagen, die nicht in Flammen standen, plötzlich von innen her aufgebrochen wurden. Gestalten in schwarzen Umhängen kamen herausgesprungen und stürzten sich von Blutdurst getrieben auf die wenigen Drachengardisten, die noch am Leben waren und erfolglos versucht hatten, die brennenden Wagen zu löschen. Vampire! Jene Gestalten der Dunkelheit, die das Blut ihrer Opfer tranken, die über eine übermenschliche Kraft verfügten und denen mit blankem Stahl so gut wie nichts anzuhaben war!

Als wäre der Anblick dieser mordenden Bestien, die das unheilige Zeichen der Herrin der Untoten auf ihrer Stirn trugen, und die Schreie dieser Opfer nicht schon Schrecken genug gewesen, ertönte nun auch noch die kalte und durchdringende Stimme jener Untoten, die Lucardus von Kemet als seine ›Göttin‹ bezeichnete und die sich den ganzen Kampf über nicht von der Stelle bewegt hatte: »Tötet sie! Tötet sie alle! Stillt euren Durst, doch vergesst nicht, wem ihr jetzt dient. Jagt sie, findet sie, und ihr Blut soll euch ebenfalls gehören!« Das mit letzteren wir gemeint waren, war uns nur allzu bewusst, und ich weiß nicht, ob uns die Flucht gelungen wäre, wenn Laurielle nicht eine Zone von pechschwarzer Dunkelheit hinter uns beschworen hätte. Das letzte allerdings, was ich im Schein der brennenden Wagen sah, bevor die Wälder und die Nacht uns verschluckten, war, wie sich Lucardus von Kemet erneut erhob, auf sein Pferd schwang und an die Seite der vermoderten Leiche ritt, die er allein für lieblich hielt.

Der Rest unserer Reise glich mehr einer Flucht vor den Schergen des schwarzen Drachens, waren wir doch nun weniger eine Gruppe Krieger als viel eher ein reisendes Lazarett. Viele der jüngeren Krieger waren schwer verletzt und konnten kaum aus eigener Kraft weiterreiten. Galacher und Rowan waren von Thyria Ehrwald, der Anführerin unserer verschollen geglaubten und schlussendlich doch gefundenen Gefährten gerettet worden. Rowans Verletzungen waren jedoch so schwer, dass eine Heilung nicht mehr möglich erschien. Genau wie Phelix Angbarer, der an einem Wundfieber erkrankte, wurde Rowan vom Born von Golgaris Schwingen fortgetragen. Mögen sie beide und all die Gefährten, die in diesen Landen ihr Leben ließen, in die göttlichen Paradiese Alverans einziehen.

Als wir nun kurz vor Mittemacht des 20. Ingerimms schon fast die Grenze zu Darpatien passiert hatten, ereilte uns erneut das geflügelte Grauen, welches bereits am Anfang unserer Mission für den Tod dreier Gefährten gesorgt hatte. Mit den Kräften nun schon fast am Ende, versuchten von Bredenhag, Sturmfels, Zweihand, Dorc und Ehrwald die geflügelte Echse und ihren Reiter so lange aufzuhalten, bis zumindest die Gefährten die freien Lande erreicht hatten. Mit dem Heiligen Zorn der Göttin Rondra stellten sie sich also dieser Kreatur der Niederhöllen, doch waren die letzten Tage und Wochen doch gar zu kraftraubend gewesen, und nur durch das persönliche Eingreifen eines der Götterboten persönlich, Praios sei Dank, nämlich durch Herofan, den Hüter des Passes, kam es, dass der Dämon vernichtet und die Gefährten gerettet wurden.

Am Morgen des 21. Ingerimm im Jahre 1023 BF erreichte unser Zug wieder die darpatischen und garetischen Befestigungen am Arvepass, genau an jener Stelle, an dem vor einem Götterlauf zwölf Gefährten einen heiligen Eid geleistet hatten. Gedankt sei den Göttern Praios und Rondra und ihren zehn göttlichen Geschwistern für ihren Beistand und unsere glückliche Heimkehr.


Taron Krämerkant, Schreiberling des Ordens des Heiligen Zorns der Göttin Rondra


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Texte der Hauptreihe:
21. Ing 1022 BF
Gefangen in Thargunitoths Reich - OZR in der Warunkei
Abtrünnige Silberfalken verbünden sich mit Orkbanden


Kapitel 82

Zwei Kinder des Burggrafen schließen Traviabünde
Autor: ph/MG