Geschichten:Eine Grafschaft zu ordnen - Ihr werdet euch gut verstehen

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Burg Reinherz, Gräflich Eslamsgrund, 7. Rahja 1045 BF

Erneut hatte ihr lieber Herr Vater sie “vorladen” lassen, was nicht weiter schlimm war, allerdings war sie erst seit Kurzem von der letzten ihr übertragenen Aufgabe zurückgekehrt. Dementsprechend etwas verstimmt wartete sie gar nicht darauf, dass man sie ankündigte. Stattdessen trat sie schnurstracks in das Arbeitszimmer ihres Vaters, um ihm behutsam, aber mit Nachdruck “das Brevier zu lesen”, wie man so schön sagte.

Beinahe hätte sie auch gleich losgelegt, bevor Gerwulf den verdutzten Diener mit einer einfachen Handbewegung hinfortschickte.

Als die Tür gerade zugefallen war, machte sie einen weiteren Schritt auf Gerwulf zu und hielt ihm spielerisch den Zeigefinger vor’s Gesicht, ohne dabei aber völlig den Ernst aus der Stimme zu verlieren.

“Du kannst mich nicht immer einfach hierher zitieren, Vater. Du weißt schon, dass Monavaldorn zwar derographisch und organisatorisch zu Eslamsgrund gehört, aber hierarchisch nicht? Du weißt, wer mein direkter Lehnsherr ist?!”, fragte sie rhetorisch flax.

Ähnlich flax, kam die Antwort: “Ja, bald ist es dein Bruder, also mein Sohn, das solltest du wissen. Und du bist meine Tochter, ich werde eine meiner beiden Lieblingstöchter ja wohl noch um etwas bitten dürfen?”, fragte Gerwulf mit einem süffisanten Unterton.

“Bitten? Aha, also umgehen wir jetzt die Lehenspyramide.”, grinste Sie herb.

“Ja, bleibt doch in der Familie.”

“Ach, Vater, so läuft das nicht.”, sie verdrehte spielerisch die Augen, schnaufte dabei aber ernsthaft.

“Doch.”

“Ach, Vater.”, sie nahm zwei bereitstehende Kelche, goss leichten Roten hinein und reichte einen davon Graf Gerwulf. “Sei’s drum, ich bin hier, warum hast du mich hierher ‘gebeten’?”

“Na, geht doch, warum nicht gleich so? Ist ja nicht so, als wäre es zu deinem bzw. unserem Schaden.”

“Du meinst zu deinem und Alderans.”, sie nahm noch einen Schluck und schielte keck über den Becherrand hinaus.

“Das ist doch das Gleiche. Du hast unser Haus hier bereits zwei Jahre vertreten, mit einigem Erfolg, die Eslamsgrunder akzeptieren dich und diese Albernen feiern dich gar als ihre Heldin. Anscheinend sehen sie sich durch aktuelle Geschehnisse darin noch bestätigt.”

Calderina klimperte mit den Wimpern. “Du meinst, du als Graf, Alderan als zukünftiger Großfürst. Ich mit einem Joris vermählt - und das ist wohl das Wichtigste, ich höre den Leuten hier zu.”

“Genau, das und dein recht passender Vorname. Haben wir gut gewählt damals.” Gerwulf musste über seinen eigenen Scherz beinahe den Wein ausspucken, konnte es aber noch zurückhalten. “Aber worauf ich hinaus wollte, ist, dass du dich hier bereits am besten von uns auskennst und es in der Familie bleiben soll.”

“Was soll in der Familie bleiben, Vater?”

“Eine Inventur.”

“Wie bitte?”

“Nun, eine Inventur ist eine Bestandsaufnahme.”

“Ich weiß was eine Inventur ist.”, sie knuffte ihn am Oberarm.

“Warum fragst du dann? Sie soll mir etwas zum aktuellen Stand der Grafschaft sagen.”

“Hast du dafür keine Untergebenen?”

“Ich habe doch dich.”

“Ich bin nicht deine Untergebene.”

“Wollen wir damit schon wieder anfangen? Ich weiß hier noch nicht, wem ich so eine delikate Aufgabe angedeihen lassen kann. Einen Kurzbericht über die letzten fünf Jahre habe ich schon, ungenügend und oberflächlich. Ich muss mehr wissen, wenn ich das hier von Anfang an richtig machen will. Außerdem wird dich der Perainsgarten dich begleiten, ist seine erste Reifeprüfung. Und ihr lernt euch besser kennen.”

“Ich wusste gar nicht, dass ich ihn ‘’noch’’ besser kennenlernen muss.”

“Natürlich, er wird einer der engsten Vertrauten deines Grafen werden.”

“Mein Graf? Du meinst mein Vater.”

“Das ist doch das Gleiche.”

Calderina schüttelte amüsiert den Kopf, es hatte keinen Sinn weiter dagegen anzugehen, lieber goß sie nochmal nach. “Nun gut, was schwebt dir vor?”

“Ich möchte detaillierte Berichte aus jedem Lehen Eslamsgrunds, sei es nun derographisch, organisatorisch oder hierarchisch, ist mir egal. Ich brauche einen Überblick. Hier ist es drunter und drüber gegangen die letzten…Jahr…zehnte. Du wirst mir diese Berichte beschaffen, zusammen mit dem Knoblauch-Ritter.”

“Ich stimme dir zu. Jedoch, das dauert Wochen, vielleicht sogar Monde. Dafür habe ich keine Zeit, Vater, wirklich, das musst du verstehen. Ich habe ein königliches, bald großfürstliches Lehen zu führen.”

“Dir fällt schon was ein, wie du das machst. Es ist ja für deine Familie. Dein Vater und dein Bruder setzen da große Stücke auf dich.”

Calderina konnte nichts mehr erwidern, denn es klopfte. Der Diener trat erneut ein und kündigte Felian von Perainsgarten an. “Ihr werdet euch gut verstehen. Du hast ihn doch auch hierherbekommen.”

Calderina nahm noch einen dritten Kelch und befüllte ihn.

Felian war indes in den Raum getreten und hatte sich, in gebührendem Abstand zu den beiden Gareths, verbeugt. Gerwulf schwenkte die verzierte Armprothese aus Weidlether Herstellung und bedeutete, seinem Landvogt näher heranzutreten. Eine Einladung, die dieser sofort annahm, gleich wie der ihm gereichte Weinkelch.

“Perainsgarten, meine Tochter kennt Ihr ja bereits”, die beiden tauschten kurz einen Blick, der bei Felian mit einer angedeuteten Verbeugung kombiniert wurde, aus, ehe Gerwulf fortfuhr. “Ihr werdet als mein Landvogt meiner Tochter bei einer äußerst wichtigen Aufgabe beistehen! Ich möchte einen detaillierten Bericht aus den Baronien meiner Grafschaft. Was treibt das Land und die Leute hier um? Mit welchen Problemen haben sie zu kämpfen? Wo müssen wir als erstes tätigwerden?”.

Der Graf ließ seine Worte wirken, als Felian schließlich nickte, fuhr er fort. “Wunderbar, seht es als Möglichkeit Euch mit dem Land vertraut zu machen und euer Gesicht herumzuzeigen. Die Barone und Vögte sollen wissen wer Ihr seid”. Zufrieden reckte Gerwulf seinen Kelch in den beiden entgegen und stieß mit diesen an.