Geschichten:Zwei Lager
Eure Eminenz,
lasst mich mit Euch demütigst mein Wissen über die Bräuche und Tradition hier in Nattergrund teilen, deren Details in Eurer von der göttlichen Schlange gesegneten weitsichtigen Weisheit verborgen sein könnten:
In der Stadt Nattergrund herrscht mindestens seit der Verleihung der Stadtrechte durch die selige Gräfin Fridega, wenn nicht schon davor, auch wenn wir dazu heute keine Unterlagen mehr haben, eine Fehde zwischen den beiden größten und einflussreichsten Bürgerfamilien Oxentrieb und Gutkorn, die die Stadt in zwei Lager teilt.
Mitunter eskaliert diese Fehde zu offenen Gewalttaten, wie zuletzt im Sommer 1010 BF bei der Natterngrunder Bierschlacht, die nur durch Eingreifen des jungen Rondradans befriedet werden konnte, der mit jener Tat endgültig aus dem Schatten seines Vaters trat. Der Name jenes Ereignisses ist von den Geschichtsschreibern deutlich euphemistisch gewählt, wurden doch insgesamt 17 Anhänger von beiden Seiten in jenen Tagen in Bierfässern ersäuft.
Seit jenen Tagen herrscht ein noch immer brüchiger Friede, der auf den Richtschluss Rondradans zurückgeht, wichtige Ämter in unserer Stadt immer abwechselnd aus beiden Lagern zu besetzten. Und aus diesem Grunde komme ich zum eigentlichen Anliegen meines Schreibens: Der Hohe Lehrmeister Ogdalf Gutkorn ging jüngst in den schwülen Nächten des Rondra 1046 BF fort in Hesindes Hain und die Nachfolge ist bis heute ungeklärt, auch weil ich mich bisher scheue, das traditionelle Schlangenkonzil zur Kür eines Tempelvorstands einzuberufen.
Die Anhänger der Familie Gutkorn argumentieren, das Mentorin Alwine Gutkorn, die sich wie der Verstorbene in die Schlunder Natternmystik vertieft hat, die einzig richtige Wahl zu sein scheine. Bezüglich des oben erwähnten Richtschlusses argumentiert diese Seite, dass ja das letzte wichtige Amt durch Bürgermeisterin Refardeona Oxentrieb besetzt wurde und damit dessen Bedingung erfüllt sei.
Für die Seite der Oxentriebs wiederum bewirbt sich Mentor Haldrian Oxentrieb, der sich mit seinen Forschungen zur Sternenkunde im Niobara-Tempel zu Wasserburg einen Namen in unserer Kirche gemacht hat. Diese Seite argumentiert wiederherum, dass sich die Abwechslung im Richtschluss auf das jeweilige Amt bezieht, weshalb nun kein Gutkorn-Anhänger Erzpraetor werden könne.
Beide Seiten scheinen nur auf einen Grund zu warten, sich wieder gegenseitig in Bierfässern zu ersäufen, oder welche schlimme Greueltaten ihnen diesmal in den Sinn kommen.
Der naheliegende Schluss wäre also, eine unbeteiligte Person zum neuen Vorsteher zu machen, so zum Beispiel Mentorin Selena Giebel, die ursprünglich aus Nattersquell stammt und in Falkenstein über den Vulkanismus des Walls forscht. Wenn ich mir aber ansehe, in welcher Einigkeit die beiden Natterngrunder Lager gegen die verhassten Rivalen aus der Stadt Praioslob vorgehen, wie zu Beispiel bei dem "Pfaffentodt" genannten kurzen Feldzug 842 BF, könnte eine solche Entscheidung noch mehr Öl in das gerade auflodernde Feuer hier gießen.
Als ältester Priester hier an diesem Tempel, der ich selbst keinem der Lager angehöre und auch keine Ambitionen in meinen letzten Tagen zum Amt des Tempelvorstehers habe, bitte ich Euch, Eure Eminenz, bei dieser schwierigen Entscheidung um Euren Rat.
Möge der Göttin Weisheit Euch weiterhin segnen!
Eribus aus Mardershöh,
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