Geschichten:Auf verschlungenen Pfaden

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Hartsteen - Ende Efferd.

Der Adelskonvent in den Hartsteener Landen neigte sich seinem Ende zu. Welch Veränderungen hatten sich doch in so kurzer Zeit ereignet! Einst der Hort der Ritterschaft Garetiens, der Stolz der mittleren Provinzen, von dem die Herrschenden stolz verkündet hatten, sie seien lieber die ersten unter den Grafen als die letzten unter den Fürsten, und wahrlich waren sie die ersten unter den Grafen gewesen. Doch der Glanz ermattete. Rohal zerspaltete es in zwei Teile, die wie ungleiche Brüder nebeneinander standen: Hartsteen und Schlund. Der gierige Randolph von Rabenmund erflüsterte für sein Fürstentum weitere Teile der Grafschaft: das silberne Herz in Zwerch und die blühende Dergelstraße fielen an die Nachbarn. Und schließlich warfen die kaiserlosen Zeiten Hartsteen vollends ins brodelnde Chaos. Hier herrschten Not und Zorganpocken, Unfähigkeit und Verrat. Und jetzt schien das Gesetz die Landen zu verlassen. Man nannte Hartsteen „die Wildermark“, die größte Schmach und Kränkung in seiner tausendjährigen Geschichte.

In solch bitteren Gedanken versunken hatte Hilbert von Hartsteen, der Reichsvogt von Kaiserlich Sertis, die Tage unter seines gleichen verbracht.

Und seine Erinnerung an seine Tage in Leihenbutt ließen ihn des Nachts erschauern. Wie sehr hatte er sich vor diesem finstern Schwarzmagus gefürchtet, und wie dankbar war er der Inquisitorin und der Bannstrahlerin gewesen, als sie in seiner Nähe waren und ihn vor seinen finsteren Einflüssen geschützt hatten. Doch er wusste ihn noch in seiner Nähe, er spürte seinen kalten Blick auf sich und wusste, dass der Magus jederzeit wieder gegen ihn vorgehen konnte. Hilbert war ein Spielstein in einem Spiel, welches er weder kannte noch wusste, welches Ziel es hatte.

Das Erscheinen der Königin erfüllte ihn wieder mit Hoffnung und er vergaß seine Angst. Er bereitete sich darauf vor, sich ihr anzuschließen und gen Rommilys zu reiten und es den finsteren Horden zu entreißen. Seine Bundesbrüder bereiteten sich wie er darauf vor, das Reich aus der Asche wieder auferstehen zu lassen. Ihr gemeinsames Auftreten hatte ihm Kraft und Zuversicht eingeflößt, und wie nie zuvor in seinem Leben verspürte er einen Drang, sich nützlich zu machen. Zwar bedauerte er sehr, dass er bisher noch nicht seine neugeborene Tochter Serapha Lechmunde gesehen hatte, die in Uslenried bei Alena gesund und munter war. Dies jedenfalls waren seine letzten Neuigkeiten, allerdings wollte er nicht, dass der Schatten Waldsteins sich auf seine Familie legte.

Die Adligen des Königreiches waren bereits zu großen Teilen aufgebrochen.

Mit Erlan von Zankenblatt hatte Hilbert ein sehr reichliches und erquickendes Abendmahl eingenommen, als sich in seine Gemächer zurückzog. Im letzten Licht des Tages erreichte er seine Suite im Hartsteener Gasthof, wo der Adel seinen Konvent abgehalten hatte. Schon als er durch die Tür trat, bemerkte er die Veränderung. Dies war sein Zimmer, dies stand außer Frage.

Aber gleichzeitig war es das nicht. Alles schien zu schimmern und zu leuchten. Es war Hilbert fast, als schien die helle Mittagsonne direkt hier hinein. Erschrocken wandte er sich um zur Tür, und fand sie versperrt und geschlossen. Doch keine Panik oder Angst erfasste Hilbert, stattdessen schaute er dem großen Mann in der Mitte des Raumes direkt in sein Adlergesicht. Hilbert erschauerte vor der Schönheit und Gleichmäßigkeit des Körpers und senkte beschämt das Haupt. Ein stetes Gleißen vor den geschlossenen Augen hörte er eine ferne, donnernde Stimme in seinem Kopf.

„Höre, Hilbert von Hartsteen, und Gehorche! Denn ER tut Dir kund durch Ucuri, seinen Boten und Sohn, dass ER Deinen Schwur gehört! SEIN Auge ruht auf Dir und ER wartet auf die Erfüllung Deines Versprechens! Doch nicht wo Dein Wille es wünscht geschehe es, NEIN! ER befiehlt Dir den Bau SEINES Tempels nirgends anders als in der Stadt Leihenbutt. Gehe! Erfülle SEINEN WILLEN!“

Als Hilbert wieder zu sich kam, lag er auf dem Boden in der Mitte seiner Suite, schweißgebadet und außer Atem. Er fasste sich an seinen dröhnenden Schädel und noch während er sich fragte, ob dies eine Halluzination oder übles Blendwerk gewesen war, verspürte er das Brennen auf seiner Brust. Wild riss er sich sein Hemd vom Leib und starrte auf die große Sonne, die am Flecken seines Herzens wie eingesengt loderte…


Baronie Bärenau - Anfang Travia

Die Äste peitschten Hilbert ins Gesicht. Er rannte. Sie hinter ihm.

Kettenrasseln und schwere Tritte. Sein Atem keuchte und mehr als einmal strauchelte er über eine Luftwurzel im Wald. Sie mussten in Bärenau sein, nicht fern von der Grenze von Zweiflingen. Er hielt sich den schwerverletzten Arm. Das Schwert hatte er fortgeworfen, um unbehindert laufen zu können. Es mussten etwa fünf bis sechs sein. Vielleicht auch nur vier, er wusste es nicht.

Zusammen mit drei jungen Rittern aus Hartsteen hatte sich der Reichsvogt vor wenigen Tagen auf die Reise gen Westen begeben. Er wußte, dass es ein riskantes Unterfangen war, so nah am Einflussgebiet Simionas vorbeischleichen zu wollen, aber er hatte beschlossen so schnell wie möglich nach Greifenfurt sich durchzuschlagen, um die Illuminata Lechmin Lucina zu treffen, die ebenfalls aus dem Hause Hartsteen stammte, und mit der er unbedingt zu sprechen wünschte. Hilbert scherte sich nicht viel um die zahlreichen verschiedenen Fraktionen der Praioskriche, für ihn war wichtig, dass sie eine Verwandte und in Greifenfurt erreichbar war.

Vielleicht, dachte er bitter, als er unter einem Tannenast hinunter wegtauchte, eine vorschnelle und törichte Idee. Nicht weit von der Reichsstraße hatte man sie das erste Mal überfallen, aber zu viert konnte man den Angriff abwehren. Mit entsprechenden Lädierungen und Verwundungen.

Dann folgten ein zweiter und dritter Angriff, und schließlich waren Hilbert und Gernot allein diesen finsteren Kerlen gegenüber machtlos. Er gab seine letzten Ritter den Befehl, zu laufen, doch da sackte dieser schon von einem Bolzen tödlich getroffen nieder. Ein zweiter verfehlte ihn knapp, der dritte bohrte sich durch seinen rechten Oberarm, zum Glück nicht in den Knochen sondern glatt hindurch. Nun rannte Hilbert um sein Leben.

Die vier Söldner näherten sich ihrem Opfer. Bartholomäus Sinistron hatte ihnen gesagt, sie sollten die Beute lebend fangen, doch das war ihnen jetzt gleichgültig.

Sie wollten dem rennenden Adligen eine letzte Lektion erteilen.

„Dort hinten ist er!“ Der Söldner zeigte auf den wippenden Tannenzweig. Sie hasteten hinter dem Hauptmann her. Ein unbewaffneter und verletzter Adliger sollte vier schwer bewaffneten Männern eine leichte Beute sein!

„Verflucht!“, zischte ein etwas kleinerer und feisterer Söldling. „Was rennt der so schnell! Den mache ich kalt!“ Die Söldner fühlten, dass sie Meter gut machten.

Mit einer zeigenden Geste wies der Hauptmann seine Leute zu einem kleinen Graben im Wald. Etwa in der Mitte des Grabens sahen sie den Flüchtenden.

„Los, macht hinne!“ Zu viert rannten sie in die schmale Waldstelle hinein, wenige hundert Meter hinter Hilbert.

Der Bolzen ragte dem Hauptmann überraschend aus der Brust. Das kurze Gefieder steckte tief in seinem Körper und ungläubig taumelte er zurück von der Wucht. Abrupt kamen die drei anderen zu stehen und gingen in Kampfstellung. Ein zweiter Armbolzen verfehlte sein Ziel knapp und schlug krachend in einen liegenden Baum neben den drei Verfolgern. Binnen eines Augenblicks stürmten von beiden Seiten etwa sieben oder acht Bewaffnete in grünem Wams und brauner Hose aus dem Unterholz, die Schwerter schwingend.

Flucht war unmöglich. Der Kampf war kurz. Erschlagen lagen die Söldlinge auf dem Waldboden.

„Wie lautet Euer Name und warum jagt Euch dieser Leihenbutter Abschaum?“ fragte der hoch gewachsene Mann mit der Augenklappe Hilbert, der noch immer um Luft rang. Eine dralle Kriegerin versorgt die Wunde am Oberarm der Reichsvogtes.

„Mein Name lautet Hilbert von Hartsteen. Ich bin der Reichsvogt von kaiserlich Sertis in Waldstein.“

„Dann seit ihr aber ein gutes Stück weg von zuhause. Warum reist ihr ohne Deckung durch die Wildermark?“

„Meine Begleitung fiel unter den stetigen Angriffen,“ keuchte Hilbert.

„Das Gebiet hier ist nicht sicher. Die Leihenbutterin tyrannisiert die gesamte Gegend. Nur wenige können sich ihr hier am Rand ihrer Hemisphäre gegen sie behaupten. Aber immer wieder schickt sie ihre Hunde.“

Der Mann spuckte verächtlich aus. „Es heißt, sie bete einen unbekannten goldenen Gott und habe ihm ein Leihenbutt einen goldenen Tempel gebaut.“

Hilbert schaute die Männer und Frauen sehr genau an. Es waren acht Personen, die in den Fetzen der Uniform des Mittelreichs gekleidet waren. Offenbar waren es Fahnenflüchtlinge, die sich nach der Schlacht um Wehrheim im Wald verschanzt hatten.

„Habt Dank für Eure Rettung. Doch wer seid ihr?“ fragte Hilbert.

Es entstand eine kurze Pause, in der die acht sich kurz anschauten. „Nun“, begann der Große mit der Augenklappe, „wir waren vor Wehrheim, naja, bis wir gemeinsam getürmt sind. Unser Leutnant fiel und wir hielten es für Selbstmord, den endlosen Heerwurm aufhalten zu wollen. Also preschten wir uns in die Büsche und schlugen uns bis hierher durch. Wir leben davon, dass wir die Dörfler und Wehrgehöfte hier gegen den Abfall aus Leihenbutt verteidigen, und wenn man uns kein Essen gibt, dann müssen wir es uns eben selber holen. Hier ist sich jeder selbst der nächste…“

„Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis man Euch erwischt! Entweder das Reich, das kurzen Prozess macht, oder der selbsternannten Herrscherin von Waldstein!“

„Das wissen wir, und deswegen verlegen wir ständig unseren Aufenthaltsort. An keinem Ort zu lange!“

„Aber irgendwann ist die Flucht zu Ende!“

„Dann ist sie eben zu Ende.“ Die Augenklappe winkte seine Leute zu sich, die sich bereits marschfertig machten. „Wir müssen weiter. Hochgeboren, wir wünschen Euch Glück, aber das wird hier nicht reichen…“

Hilbert schaute ihnen fassungslos hinterher. Als sie bereits einige Schritt entfernt waren, rief er ihnen hinterher: „Wartet!“

Sie blieben stehen und er lief zu ihnen.

„Es gibt einen Ausweg für Euch. Einen Weg Eure Ehre wieder her zu stellen und ein sicheres Leben zu beginnen.“

„Ach ja? Da bin ich aber gespannt!“

„Ja. Ich bin Reichsvogt von Sertis. Das liegt nicht so weit von hier, aber es liegt weit weg von Gareth. Niemand wird dort danach fragen, woher ihr stammt. Und für Euer Auskommen ist gesorgt, wenn…“

„Wenn..?!“

„Wenn ihr Ritter von Sertis werdet! Es gibt jetzt mehrer freie Rittergüter dort, die Menschen sind etwas wunderlich aber in Ordnung. Der Forst wächst zwar… aber ansonsten ist es ideal für euch! Überlegt, ich bin Euch dies schuldig, ich würde ohne Euch nicht mehr lange gelebt haben!“

Die Deserteure schauten sich fragend gegenseitig an. Langsam nickte der erste und schließlich nickten alle.

„Ja, wir nehmen Euer Angebot an!“


Bartholomäus beobachtete die acht Gestalten, denen der Reichsvogt nacheinander das Schwert, was man ihm gegeben hatte, auf Schulter und Haupt schlug. Zwar ärgerte er sich, dass seine Söldlinge so erbärmlich daran gescheitert waren, einen einzigen hilflosen Krüppel zu fangen, aber seinen Unmut konnte er später an ihnen auslassen, wenn er sie in ihr unnatürliches Leben zurückgeholt haben würde. Kalte Alriks würden auch keine Soldforderungen stellen, Simiona würde es eh egal sein. Gemächlich setzte er sich in Bewegung. Er hatte sich vergewissert, dass sein gebundener Shruuf griffbereit war. Die acht Hampelmänner würden für seinen Dämon eine einfache Aufwärmübung darstellen. Er freute sich darauf zu sehen, wie schnell und präzise er die Krieger beseitigen würde. Erfahrungsgemäß blieb dann nicht genügend zusammenhängendes Material übrig, das noch in irgendeiner Form weiterverwendet werden konnte, aber diesen kleinen Preis würde er wohl zahlen müssen.

Die Ritter von Sertis machten sich bereit, ihrem neuen Lehnsherren zu folgen. Offenbar waren sie nicht sonderlich erbaut darüber, dass Hilbert ihnen erst nach ihrem Schwur eröffnet hatte, dass sie zuvor noch eine kleine Angelegenheit in Greifenfurt zu erledigen hätten, und somit sehr nah an Leihenbutt vorbei reisen mussten. Aber er versprach, dass dies ohne weitere Zwischenfälle von Statten gehen sollte. Als Hilbert gerade diese Worte ausgesprochen hatte, trat der Schwarze Magier vor die Gefährten.

„Ts, ts, ts. Reichsvogt, ich denke, da irrt Ihr Euch ein wenig. Ich glaube, Ihr habt mich in Hartsteen etwas falsch verstanden, als ich sagte, dass ich jederzeit ein Auge auf Euch werfe. Wie unklug, wie ausgesprochen unklug von Euch. Und jetzt ist es auch nur noch ein so kurzes Stück bis Leihenbutt.“

Mit weit aufgerissenen Augen starrten die neun Ritter den Magier an. Dieser hob demonstrativ die Arme, nahm ein Flakon von seinem Gürtel und warf es lässig vor seine Füße. Es zerbrach, stinkender Rauch entstieg und eine abgrundtief hässliche Kreatur tauchte mit peitschenden Tentakeln und einem riesigen Schnabel vor dem Magus auf.

„Töte sie alle!“ zeigte Bartholomäus genüsslich auf die Schar von Krieger, die sich zusammentaten und in Defensivstellung gingen. Der Shruuf kreischte auf, dass es in den Ohren schmerzte, und stapfte auf seinen Stelzenbeinen auf die Ritter zu…

Bartholomäus lachte finster und freute sich auf das bevorstehende Schauspiel, als er plötzlich zusammenzuckte. Ein greller Blitz blendete seine Augen. Und einen Augenblick später spürte er, wie drei Pfeile in seinen dürren Körper einschlugen. Er schmeckte sein Blut auf den Lippen und fühlte den rasenden und brennenden Schmerz, der sich von seiner Brust aus in sein Hirn vorarbeitete. Er ahnte mehr, was geschehen war, denn dass er es wusste. Instinktiv verschränkte er seine Arme vor dem Körper und rief „Transversalis“. Er löste sich vor den Augen aller auf und brachte seinen geschundenen Körper an eine sichere Stelle, wo er seine schweren Wunden versorgen konnte.

Während die vier Elfen den Magier umsorgten, trat ein grau gekleidete Mann mit spitzem Hut vor den Dämon und fixierte diesen wütend.

„Haltet ihn auf, gebt mir Zeit!“ rief er den Kriegern hinter sich zu.

Sofort lösten sie sich aus ihrer Erstarrung und eilten dem Magier zu Hilfe. Der Dämon schlug hart um sich und traf einen der Männer direkt vor den Brustpanzer. Keuchend und ohne Luft zu bekommen ging der Ritter auf die Knie. Der Shruuf stieß einen hohen Schrei aus und setzte nach. Der Schnabel des Gehörnten zerschmetterte den Helm des Mannes und bohrte sich tief in den Kopf des Ritters. Die anderen Ritter versuchten tapfer den Dämonen zu bekämpfen, aber ihre Waffen schlugen keine Wunden in den niederhöllischen Körper. Unterdessen bereitete der Magier sich vor. Er zeichnete ein Pentagramm in den lockeren Waldboden und murmelte etwas vor sich her.

Der Shruuf hielt auf den knieenden Magier zu, ohne sich weiter um die sich bemühenden Krieger zu kümmern. Wütend kreischte der Dämon auf und schlug wild auf den Magier ein. Funken und kleine Lichter tanzten, als die Tentakel von der Zauberbarriere abprallten, die der Magier um sich herum geschaffen hatte. Er konzentrierte sich, webte vor sich das Muster des Zauberspruchs, den er in Punin erlernt hatte, und ließ seine Kraft in die geplanten Bahnen laufen. “PENTAGRAMMA DRUDENFUSS“. Er spürte, wie der Dämon sich sträubte gegen seinen Willen. Doch in grünem Rauch verschwand der Shruuf dorthin, woher er einst gerufen worden war. Der Kampf war vorbei.

„Die zwölfe mit Euch!“, grüßte mit leichtem Kusliker Akzent der Magier die neun verdutzten Ritter. „Erlaubt, dass ich mich vorstelle! Mein Name ist Horatio ya Mangerisya aus dem lieblichen Kuslik, der wahren Kapitale des Horasiats. Wir, das heißt meine vier Freunde hier und ich, verfolgen die Spur dieses Schwarzmagus und Dämonenpaktierer schon seit geraumer Zeit. Ich denke, dass er erstmal seine Wunden lecken wird.“

„Habt vielen Dank, hochgelehrter Herr! Ich werde mich Euch erkenntlich zeigen!“ rief Hilbert erfreut aus. „Aber sagt, was führt Euch hierher und warum begleiten Euch vier… Spitzohren?“

„Ich erforsche den Reichsforst. Ich… aber das ist nicht wichtig. Es war uns eine Freude in der Not zu helfen. Wenn Ihr sonst noch eine Bitte habt, vielleicht können wir ja nochmals helfen. Immerhin wird es einen Grund haben, weswegen Ihr durch diese Länder streift.“

„Nun, eigentlich nichts weiter, außer… wir müssen nach Greifenfurt. Allerdings scheut uns die Reise durch die östlichen Waldsteiner Baronien.“

„Wenn es weiter nichts ist!“ lachte Horatio. „Ich denke, meine Freunde können da helfen.“

In einem seltsamen Singsang wandte sich der Magier an die Elfen. Diese antworteten ebenfalls in einer unverständlichen Sprache.

Horatio übersetzte: „Meine Freunde willigen ein, Euch durch den Alten Wald zu begleiten. Sie kennen da so manchen verschlungenen Pfad. Fasst einander an der Hand und schließt die Augen. Es ist wichtig, dass ihr sie unterwegs geschlossen haltet, denn das, was man im Reichsforst sehen kann, ist nicht für Eure Augen bestimmt!“


Burg Leihenbutt

Bartholomäus hatte sich schwer verletzt nach Burg Leihenbutt zurückgezogen. Es war ihm gelungen, seine Wunden notdürftig zu versorgen - zu seinem Leidwesen gehörte die Heilmagie gar nicht zu seinen Stärken und immer wenn er am dringensten darauf angewiesen war, wurde ihm dieser Mißstand aufs Schmerzlichste bewußt. Mit zusammengebissenen Zähnen entfernte er einen Pfeil nach dem anderen aus seinem Leib und murmelte: "Na wartet, meine spitzohrigen Freunde, über diesen kleinen Vorfall ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Beim nächsten mal wenn wir uns wiedersehen zeige ich euch mal meine Zauberkunstsücke, und dann wird es heißen: "Elfen, Freunde, hört den Shruuf..."


Greifenfurt – Mitte Travia

Die Reise mit den Zauberkundigen hatte etwas Märchenhaftes gehabt. Die vier sehr schweigsamen Elfen hatten darauf bestanden, dass den sieben Reisenden die Augen verbunden werden sollten. Warum sie so vehement darauf bestanden, konnte Hilbert nicht nachvollziehen. Gut, er hatte viele Märchen und Sagen über den Reichsforst gehört, und in seiner Jugend mehr als einmal ein kleines Stück weit von Sertis aus in ihn eingedrungen. Aber immer war er ihm nur als besonders dichter alter Wald vorgekommen, mehr nicht.

Wie anders dieses Mal! Weil er sich ausschließlich auf sein Gehör verlassen musste, erschienen ihm die Geräusche des Waldes fremd und unbekannt. Und je tiefer sie in den Forst hinein geführt wurden, desto seltsamer klang der Wald. Sicherlich, die Waldvögel trällerten und pfiffen von dem hohen Geäst und auch das Rascheln des aufgescheuchten Wildes war eigentlich vertraut. Bei den kurzen Rasten unterwegs durften sie ihre Augenbinden abnehmen, unter der Auflage keine zehn Schritte weit zu gehen. Die Lichtungen, wo die Gruppe hielt, waren allesamt von Menschenhand unberührt und um sie herum war das Dickicht so schwarz, dass man keine fünf Schritt weit hinein schauen konnte. Hilbert wunderte sich, wie sie so mühelos und ohne aufgehalten zu werden durch den Wald laufen konnten, sagte allerdings kein Wort zu seinen Mitreisenden.

Der Magier, der offenbar die Gedanken des Reichsvogtes lesen konnte, lächelte ihm zu und flüsterte ihm zu: „Das Elfenvolk hat die Gabe, sich nicht vom lebendigen Element aufhalten zu lassen. Solange wir unter ihrem Schutz reisen, ist der Wald keine Bedrohung für uns. Wagt aber nicht, Euch von unseren Führern zu trennen. Der Wald würde Euch verschlingen.“

„So stimmen die Sagen und Legenden über den Forst also? Man sagt doch, hier lebte ein vergessenes Feenvolk, das den Bauern die Kinder und Haustiere stiehlt?“, wandte sich der Reichsvogt interessiert an den Magus.

„Hochgeboren sollten nicht auf das Geschwätz der Gemeinen allzu viel geben. Meistens sind es einfach nur die gewöhnlichen Waldbewohner, wie zum Beispiel Wölfe, die den Menschen am Rande des Forstes der Kinder und Tiere entledigen, nichts also, worüber man allzu viel Aufheben machen sollte. Aber es liegt etwas in diesem Wald, tief versteckt und nicht im Blick der Menschen. Deswegen bin ich hier und erforsche es. Und will es schützen gegen solches Volk, wie Euren Freund, den Schwarzmagus, etwa. Es ist nicht vorzustellen, was es bedeuten würde, wenn er seine bleiche Nase zu weit in die Geheimnisse des Forstes stecken würde. Welch Schaden könnte er anstellen!“

„Aber was liegt im Reichsforst?“, bohrte Hilbert neugierig weiter.

„Im Herzen des Waldes… Aber seht, unsere Freunde bitten uns, weiter zu gehen. Bis zum Waldrand ist es noch ein gutes Stück, Ihr müsst Euch gedulden.“

Hilbert vermochte die Tage im Wald nicht zu zählen. Die Binde vor Augen tauchte alles in tiefes Schwarz, und weil er von der Sonne nichts spürte, hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Seinen besorgten Mitreisenden erging es nicht anders. Immer seltener machten sie halt, und dann immer nur für wenige Minuten oder damit die Gruppe auf tief bemoostem Boden schlafen konnte. Die Luft war angefüllt mit klingenden Geräuschen und hellen Tönen, so als ob der Wald, so tief wie sie nun eingedrungen waren, eine eigene Stimme bekommen hatte. Und es erschien Hilbert so, als ob er in der Ferne eine feine, verschlungene Musik hörte, so schön und so fremd, wie er sie niemals zuvor gehört hatte. Aber je weiter sie reisten, desto ruhiger wurde wieder der Wald.

Und als der Magus, der wie durch ein wunder stets ausgesprochen sauber und adrett gekleidet war, ihnen die Augenbinde abnahm, standen sie in einem lichten Teil des Waldes. Mit einer Hand wies er den mit Dreck, Blättern und Zweigen bedeckten Reisenden den Weg: „Wenn Ihr dort entlang geht, so werdet Ihr innerhalb eines halben Tagesmarsches auf eine Köhlersiedlung stoßen. Von dort sind es etwa noch drei Tagesmärsche nach Greifenfurt und einen Tagesmarsch nach Eslamsroden, je nachdem, wohin ihr wollt. Die Götter mögen mit Euch sein und Euren Weg weiter beschützen. Hier trennen sich unsere Wege. Lebt wohl!“ Und ohne sich nochmals umzusehen verschwanden die Elfen und der Magier im dichten Wald. Hilbert schüttelte den Kopf und sah ihnen noch einen Augenblick lang nach. Dann wies er bestimmt die Richtung, in die der Magus gezeigt hatte und sagte: „Auf, lasst uns zurück in die Zivilisation gehen!“


Eslamsroden – Mitte Travia

Hilbert saß Lechmina Lucina von Hartsteen, der Greifenfurter Illuminta, gegenüber. Die junge Frau mit ihren kurzen hellen Haaren und ihrem freundlichen Lachen entsprach überhaupt nicht den Berichten, die er über seine entfernte Verwandte vernommen hatte. Der Adel des Reiches hielt sie für eine Aufrührerin, die dem Adel seine privilegierte Stellung absprach und die Bauern zur Auflehnung gegen ihre Herren aufstachelte. Innerhalb der Kirche des Götterfürsten galt sie als isoliert und wurde mit Skepsis und Misstrauen betrachtet. Einfluss besaß sie eigentlich überhaupt keinen. Hilbert hatte sie einzig deswegen ausgewählt, ihm einen Rat zu erteilen, weil sie derselben Familie wie er abstammte, und während er nun vor ihr saß, bereute er sein Vorhaben auch nicht. Die Praiotin hörte ihm aufmerksam zu, auch wenn sie zuweilen seltsame Ansichten äußerte oder hochmütig bestimmte Dinge von sich wies. Eben hatte er genau seine Reise hierhin beschrieben, mit all den merkwürdigen Zwischenfällen und glücklichen Fügungen.

„Und so sind wir gestern in Eslamsroden angelangt, haben hier Quartier bezogen und nun sind wir also bei Eurer Exzellenz angekommen“, schloß Hilbert seine weitschweifige Erzählung.

„Da habt Ihr ja eine wahre Odyssee hinter Euch, Hilgert. Um so erfreuter bin ich, Euch endlich kennen zu lernen.“ Die Illuminata nickte ihrem entfernten Vetter freundlich zu. „Vor allen in diesen des Wandels reichen Tagen. Sagt, was haltet Ihr von der Rückkehr des Kaisers?“

Vor Überraschung musste Hilbert husten. „Exzellenz? Wie meintet Ihr?“

„Nun, ich meine, was haltet Ihr davon, dass Kaiser Answin zurückgekehrt ist, als Greifenfurt ihm am meisten bedurfte? Ich sprach mit ihm, als er durch Eslamsroden in Begleitung der vieler Greifenfurter gen Osten ritt und in Eslamsroden Rast hielt. In unserem kurzen, aber sehr ernsten und tiefen Gespräch fühlte ich seine Kraft und seinen aufrechten Wunsch dem Reich zu dienen und zu helfen. Ein wahrhaft herausragender Mann!“

Hilbert schwieg höflich und schüttelte insgeheim den Kopf.

„Nun“, fuhr die Illuminata fort, „es ist ja eigentlich unwichtig, wer das Reich führt, denn der Herr wird doch den Richtigen mit diesen Aufgaben betreuen. Ich hoffe, dass es ein Mann von aufrechtem Glauben ist, der seinen Platz in der von Praios bestimmten Ordnung kennt und demütig den Willen des Gleißenden ausführt, ohne sich von Namen, Gold oder sonstigem Schein trügen zu lassen! Denn die weltliche Ordnung ist nichts anderes als ein Teil der göttlichen Ordnung, an dessen Spitze die Zwölfe stehen, der Herr Praios ihnen voran. Nur der wahrhaft Götterfürchtige wird vor dem allsehenden Auge bestehen können, gleich ob er König oder Bauer!“

Ein begeisterter Glanz stand in den Augen Lechmin Lucinas, als sie vor ihrem Besuch ihre Predigt hielt. Der Reichsvogt von Sertis verstand davon nur die Hälfte. Der Bauer stand natürlich ebenso unter den Göttern wie der Adel. Aber wieso sollten sie gleich sein? Allerdings hielt er seine Frage zurück, wohl wissend, dass sie eine Flut von Ausführungen nach sich ziehen würde, in deren Wucht er untergehen würde. Stattdessen hakte er, als eine kurze Pause in den Ausrufen der Illuminata entstanden war, kurz ein, und brachte das Gespräch auf den eigentlichen Inhalt, weswegen er überhaupt die weite und gefährliche Reise nach Eslamsoden unternommen hatte. Hilbert erzählte kurz von seiner Vision und zeigte der Illuminta das Sonnenmal auf seiner Brust.

„Ich tat das Versprechen dem König der Götter einen Tempel zu stiften, so er seine schützende Hand über mich halten würde. Er forderte mich durch seinen Herold auf, seinen Tempel in der Stadt Leihenbutt zu bauen, der Baronie meines Pfortenbruders Nimmgalf von Hirschfurten. Dort herrscht im Moment seine Frau Simiona, die mich durch jenen bereits erwähnten Schwarzmagus zu töten trachtete.“

„Erzählt weiter, Hilgert. Warum sollte der Höchste Euch ausgerechnet an diesen Ort senden wollen?“

Hilbert zuckte mit den Achseln. „Wer weiß das schon? Es gehen Gerüchte um, Simiona habe dort einem neuen Gott einen Tempel gebaut und zwänge die Menschen, diesem zu dienen.“

„Ein neuer Gott? Was ist dies für ein Gott?“, hakte die Illuminata scharf nach

„Nun, soweit ich hörte, soll es ein güldener Tempel sein für einen güldenen Gott. Aber genaues weiß man nicht, seit Monden dringt keine verlässliche Nachricht aus Leihenbutt.“

„Ein güldener Gott? Das klingt so, als habe man dem Rattenkind ein Götzenmal gestiftet. Denn seine Zeichen sind das Gold und das unheilige Einflüstern lästerlicher Worte wider die Zwölfe! Er bedient sich der Menschen, um die göttliche Ordnung zu zerstören. Seine Diener wandeln unerkannt unter unseren Brüdern und Schwestern. Aber in diesen Tagen des Chaos, wo die Zwölfe uns aufrecht Gläubige prüfen, da fassen sie Mut und wagen sich aus ihren dunklen Löchern hervor. Wie Ratten, die ihre Chance wittern, während sie sich tief in der Kloake verstecken! Oh ja, ich spüre es! Der Gott ohne Namen hat einen Ort auf Dere gesucht und glaubt ihn hier gefunden zu haben! Sein Aufruf an Dich, Hilgert, war nicht nur, dass Du Dein Versprechen, das Du wie dem Händlergott abgerungen hast, erfüllst, sondern dem Rattenkind seine Schranken aufweist!“

Es störte den Reichsvogten, dass die Illuminata, ebenso wie der verstorbene Staatsrat Praiodan von Luring, seinen Vornamen einfach nicht korrekt aussprechen konnte. Mehr noch aber störte ihn, dass er ausgerechnet so eine Tat ausfüllen sollte. Als er versprochen hatte, dem Götterfürsten einen Tempel zu bauen, hatte er sich aus einer misslichen Lage befreien sollen. Nun war er vom Regen in die Traufe gelangt, denn diese Aufgabe zu erfüllen, so fühlte er deutlich, war weit schwieriger als alles andere, was ihm jemals aufgetragen worden war…