Geschichten:Bitterer Winter
Eisig kalt pfiff der Wind über die kleine Aussichtsplattform, die man mit ein paar Holzbalken auf die Überreste eines Bauernhofes gebaut hatte. Es war der kälteste Winter, an den sich der Junker von Dragenfels erinnern konnte. Und diese bittere Kälte hielt ihn vom Handeln ab, hier auf dem Wachturm hatte er zuviel Zeit zum Nachdenken.
Sein Blick schweifte über die Ruinen von Puleth. Hier hatte es begonnen. Er und Treumunde, sein Herz verkrampfte sich bei dem Gedanken an sie, hatten mit den anderen Adeligen Garetiens versucht, den Heerwurm auf den Weg nach Gareth aufzuhalten. Hier war er der „Held von Puleth“ geworden. Er schüttelte den Kopf. Er war ebenso wenig ein Held, wie Puleth noch ein Ort war.
Aber hier hatte er die letzte Pulether Reichsflagge mitgenommen, und geschworen, sie eines Tages, wenn Puleth wieder sicher sein würde, erneut aufzuhängen. Diese Flagge hatte nun Treumunde. Wie, als wäre es am Vortag gewesen hallte ihre Stimme in seinem Geiste: „Wenn Du zu dem Reichsverräter ziehst, bist Du es nicht wert, die Flagge zu tragen.“
Stoisch hatte er ertragen, wie sie mit ihrem Vater und dem kläglichen Rest der Eychgraser, die nicht dem Brand zum Opfer gefallen waren, vom Dragenfels fort geritten war. Er hatte es Ihr doch erklärt: Wenn er jetzt Answin helfen würde, würde dieser ihm danach in Erlenstamm helfen, vielleicht würde Answin ihn sogar zum neuen Baron oder gar Grafen machen.
Er hatte Ihr erzählt, dass das Haus Dragenfels seine Existenz dem Rabenmunder verdankte, aber das machte sie nur wütender. Er sei ein Lügner, jahrelang habe er sie und ihre Familie belogen.
Als sie davon ritt, wusste er, dass der Dragenfels verloren sein würde. Ohne Geld und Truppen würde er niemals die Festung wieder vernünftig aufbauen können. Er hatte sie ja schon von seinen geringen Einkünften nicht ohne die Hilfe der Vögtin und den Geldspenden aus Eychgras erhalten können. Also ließ er seine letzten zehn Dragenfelser Schützen durch den Schlund ziehen und verkünden, der Dragenfelser, der Held von Puleth, sammle Freiwillige, die mit ihm und Kaiser Answin das Reich befreien würden.
Was für eine stolze Truppe er in wenigen Tagen zusammen bekommen hatte. Junge wie Alte, Bauern und Handwerker, viele waren seinem Ruf gefolgt. Stolz hatte sie sich mit den Schlunder Farben geschmückt, viele, in dem sie selbst ein paar gelbe, schwarze und rote Stoffstreifen an ihre Kleidung genäht hatten. Sie folgten ihm über die Baroniegrenzen hinweg, selbst einige Nettersqueller und Erlenstammer, enttäuscht von ihren Baronen. Wie herzlich war der Empfang von Answin ausgefallen, als die Schlunder sich in Wehrheim mit dem Heer vereint hatten. Wie gut taten die ersten Erfolge, bis dann dieser vermaledeite Winter kam.
Der Junker hatte die Truppe bisher gut geführt. Kaum Verluste in den Schlachten und die Schlunder waren ihm immer noch allesamt treu ergeben. Nur er wusste nicht, welcher Treueid ihm wichtiger war, der für das Reich, für das er Answin auf den Kaiserthron bringen wollte, oder der zu seiner Frau…