Geschichten:Der gute Kaiser Menzel
Stadt Rubreth, 14. Rahja 1046 BF
In Rubreth herrschte in diesen Tagen ein reges Treiben. Denn die lange herbeigesehnte St. Rakuls-Turney des Jahres 1046 fand statt, und nicht nur Ritter aus dem Umland sonder auch viele Gäste von Nah und Fern waren in die Stadt geströmt, um den bunten Turnierspielen beizuwohnen und endlich wieder was richtig Tolles zu erleben. Die Gaststätten und Herbergen waren längst ausgebucht, wer Glück hatte kam noch bei Freunden oder Bekannten unter. Die weniger Glücklichen mussten sich mit einem Schlafplatz im Stall oder in einer Scheune begnügen, aber wenigstens war es in diesen Tagen recht warm.
Die meisten Partien der berühmtestenn Turney in gräflich Rubreth waren bereits beendet, lediglich das Halbfinale und das Finale mussten am Nachmittag noch ausgetragen werden.
Zwei alte Freundinnen, namentlich Rondriane von Schattenberg aus dem Junkertum Trügensfeld in Gräflich Luring und die Alt-Junkerin Laudine von Immingen aus Rallerspfort - beides noch recht rüstige Damen in fortgeschrittenem Alter - hatten sich nach vielen Jahren hier zufälligerweise wieder getroffen und spontan beschlossen, bei einem frischen Gerstensaft und etwas Gebäck ein wenig miteinander zu plaudern, und Neuigkeiten auszutauschen. Dazu hatten sie die Taverne 'Bei Bothram' aufgesucht, und ließen es sich dort gutgehen.
"Ach, Laudine, Du weißt gar nicht wie ich mich freue, dich hier wieder zu sehen. Wie geht es dir denn so? Was macht die Familie?"
"Die Freude ist ganz meinerseits, liebste Rondriane. Ich kann nicht klagen, naja - die üblichen Zipperlein halt. Hab ja nun auch schon die sechzig Sommer vor einiger Zeit überschritten. Da ist der Körper nicht mehr wie neu."
"Wem sagst du das, meine Liebe? Mir geht es ja genau so", entgegnete die Schattenbergerin.
"Weißt du eigentlich, dass ich schon im Jahre 1014 BF hier bei der Turney hoch zu Ross angetreten bin? Jaha! Und mein Gegner war niemand Geringeres als der große Graf Danos höchstpersönlich!" Laudine war sichtlich beeindruckt. Sie selbst war bislang immer nur als Zuschauerin zu den Turnieren gekommen.
"Ja, der gute Graf Danos, das war noch ein echter Ritter. Einer von altem Schrot und Korn. Nicht so wie sein verweichlichter Sohnemann, der mit seiner Baggage die Schenken von Luring unsicher macht. So was hätte es unter Danos nie gegeben."
"Nein, niemals. Wird auch Zeit, dass dem Jüngchen mal einer zeigt, was es heißt der Graf zu sein. Was hältst du denn von den heutigen Rittern? Sind ja jetzt nur noch vier im Turnier verblieben, wenn ich es richtig gesehen habe", fragte Laudine.
"Ja, richtig. Also da wäre zum einen der neue Landvogt Rondradan von Pfortenstein. Der hat richtig was drauf. Seine Frau, die frühere Landvögtin, ist ja nicht mehr hier in Reichsforst. War wohl bei Graf Drego in Ungnade gefallen und sitzt jetzt am Großfürstenhof. Aber der Rondradan, der hat durchaus das Zeug zu einem Turneirsieger."
"Die anderen sind aber auch nicht gerade Fallobst, oder?"
"Sicher nicht, meine Teuerste. Zum einen ist da der Pfalzgraf Udilbert von Hardt, ein unangenehmer Gegner. Der hat schon mehr als einen Kontrahenten in der Tjost einen tödlichen Unfall beschert. Angeblich war es in keinem Fall Absicht, aber man weiß ja nie. Der ist auf jeden Fall nicht zu unterschätzen."
"Aha. Und die anderen?"
"Dann wäre da noch der Reichsritter Lares von Torbelstein aus der Baronie Waldfang. Der hat ne ziemlich große Klappe, aber ist auch ein exzellenter Tjoster. Dem könnte man auch durchaus den Sieg zutrauen. Mal schauen, wer sein gegner im Halbfinale wird."
"Ja, das könnte interessant werden."
"Die vierte im Bunde ist eine noch sehr junge Ritterin hier aus Rubreth, eine Lokalmatadorin demnach. Ich glaube, ihr Name ist Ryane von Rosenstein. Über sie weiß man noch nicht viel, aber ich habe gehjört, dass sie angeblich von Baron Nimmgalf von Hirschfurten persönlich ausgebildet wurde."
Laudine schien beeindruckt zu sein. "Was, vom Hirschfurten persönlich? Ist die denn so wichtig?"
Rondriane zuckte mit den Schultern: "Das kann ich nicht sagen, bislang ist sie noch ein recht unbeschriebenes Blatt. Ob sie als Außenseiterin gegen die 3 anderen eine Chance hat - ich weiß ja nicht."
Nachdem die beiden noch eine Weile geplaudert hatten, schlenderten sie noch über den Markt. Bei einem Waffenhändler entdeckte Laudine einen äußerst filigran geschliffenen Dolch, in den der bosparanische Schriftzug 'Invictos manere!' eingraviert war. Diesen erstand sie für 3 Goldstücke.
"Was hältst du eigentlich von unserem neuen Großfürsten, Laudine?" fragte Rondriane sie beiläufig.
"Tja, bislang hat er sich bei mir nicht vorgestellt", witzelte diese. "Aber ich habe schon den Eindruck, dass der größte Teil des Adels auch hinter ihm steht. Ich wünsche ihm jedenfalls mehr Erfolg, als dem unglückseligen Sigman. Der und seine Großfüchse sind ja kläglich gescheitert.
"Vielleicht war es letztlich besser so. Ein Mann der halb hier und halb im Horasreich verwurzelt ist, wäre keine gute Wahl für einen Großfürsten. Und das hat ihm Rohaja nun mal auch deutlich klar gemacht."
Als sie weiter über den überfüllten Markt schlenderten, brach plötzlich eine Massenpanik aus, da an einer Kutsche vier Pferde durchgegangen waren, und nun wild durch die Markstände stürmten. Wehe den Unglücklichen, die da nicht rechtzeitig ausweichen konnten. Laudine erkannte die Gefahr, und zog Rondriane auf die etwas höher gelegene Plattform der Marktverwalter und Schreiber, um dem Drängen zu entgehen. Doch immer mehr Menschen brachten sich ebenfalls dorthin in vermeitliche Sicherheit, so dass sich die Plattform bedrohlich zur Seite neigte.
"Vorsicht, der Kaiser stürzt!" rief da noch eine junge Stimme. Und tatsächlich, die große Statue des Guten Kaiser Menzel, die die Front des Magistratsgebäudes zierte, geriet ins Wanken und fiel schließlich mit lautem Getöse um, was erneut für Panik sorgte.
Doch während die meisten Marktbesucher mit dem Schrecken oder mit nur kleineren Blessuren davon gekommen waren, hatte die Statue beim Niedergang zwei Personen zerquetscht. Und kurz darauf sammelte Golgari Rondrianes und Laudines Seelen ein für ihren Flug über das Nirgendmeer.

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