Geschichten:Einen Hirschen zu jagen
Bärfried erhob sich und deutete auf die Stelle vor sich. Mit nachdenklicher Stimme und während er seinen Blick durch die Bäume streifen ließ, sprach er zu Elissa, "seht Ihr dort? Das schaut mir nach einem Wildwechsel aus. Ein frisch benutzter noch dazu. Ich denke, wir sind hier an einer guten Stelle. Schauen wir uns in der Umgebung um, dann sollten wir weitere Spuren finden.", stellte Bärfried zufrieden fest.
“Gut beobachtet! Wer weiß, auf welche Weise - und mit welchem Jagdwild - der Herr Firun uns heute zu prüfen gedenkt”, flüsterte die Baronin ihrem Gastgeber zu, während sie aufmerksam die Umgebung beobachtete.
Das Jagdfieber hatte Elissa nun gepackt und sie war froh, die Jagd nicht abgesagt zu haben. Zwar schmerzte ihre Hand immer noch ein wenig, war aber ansonsten wieder voll beweglich, sodass sie sich dazu entschlossen hatte, mit auf die Pirsch zu gehen.
Bis lang hatte er sich recht gut geschlagen im Spuren suchen. Auch wenn sein treuer Waffenknecht nicht dabei war, der ansonsten die meisten Spuren fand, die Bärfried dann als seine ausgeben durfte. Dieses Mal wollte er sich selbst beweisen.
Sein Gast hingegen hielt zwar auch die Augen auf, verließ sich aber vorrangig auf Bärfried. Jener kannte das Land samt dort lebendem Jagdwild gewisslich weit besser als Elissa, dachte diese, und schien auch sonst genau zu wissen, was er tat. Zudem wäre es der Baronin arg deplatziert vorgekommen, würde sie - als Ortsfremde und noch dazu Einhändige - versuchen, das Heft in die Hand zu nehmen. Gespannt wartete sie darauf, wohin der Ritter ihrer beide Schritte als nächstes lenkte und welches Wild letztlich auf sie warten mochte.
Bärfried nickte kurz, blickte dann zu Boden und suchte nach einer Spur. Und tatsächlich! Nach kurzer Suche fand er eine Spur, Die gehörte zu einem Paarhufer, ein großer noch dazu. Das erkannte Bärfried an der tiefe der Spur. Ein großes Reh oder ein Hirsch. Die Spur war noch frisch und führte von hier tiefer in den Wald gen Firun. Bärfried lächelte, wenn das mal kein Zeichen war! Er folgte der Spur, hier und Da waren die Hufabdrücke nicht auffindbar aber nach kurzem Suchen und der Hilfe Elissas fand er Bissspuren oder abgeknickt Äste. Und so schlichen der Einäugige und die Einhändige durch den dunklen Wald der Trollzacken. Hier und Da hörte man vereinzelt Vögel singen. Der Geruch von Holz und Moos hing in der Luft.
Dann hielt Bärfried inne. Hatte sich dort vorne etwas bewegt? Er könnte schwören dass da was war. Er ging in die Hocke und bedeutet seiner Begleitung es ihm gleichzutun. Griff dann seinen Bogen fester und fischte einen Pfeil aus dem Köcher. Er wartete kurz und tatsächlich da vorne stand wirklich ein Hirsch. Er war nicht so groß wie Bärfried hoffte aber auch nicht zu klein.
Bärfrieds Herzschlag und Atmung wurde schneller, er merkte wie das Blut nun heiß wurde und durch seinen Körper pumpte. Die mussten näher ran um einen sauberen Schuss abgeben zu können.
Er hoffte dass der Wind sich nicht drehen würde ansonsten könnte der Hirsch ihren Geruch wahrnehmen und flüchten.
Sein Mund und Zunge wurden immer trockener, je näher sie an den Hirsch kamen. Der fraß gerade einige junge Knospen der Bäumchen und schien noch nichts zu wittern. Doch dann trat Bärfried auf einen trockenen Ast, der unter dem Gewicht des Blondschopfs nachgab und knackte. Sofort blieben Bärfried und Elissa stehen und hielten den Atem an. Auch der Hirsch blickte misstrauisch und aufmerksam auf.
Bärfried gab keinen Ton von sich und war zur Salzsäure erstarrt.
Die Momente kamen ihm wie eine halbe Ewigkeit vor. Dann aber wandte sich der Hirsch ab und seinen Knospen wieder zu.
Gebannt beobachtete die Adlige die Bewegungen des Hirschen; ein durchaus stattliches Exemplar wie sie fand. Nun galt es, absolute Ruhe zu bewahren, sich möglichst unsichtbar zu machen und nicht zuletzt darauf zu hoffen, dass der Wind nicht drehte, was es dem Tier erlaubte, die Witterung der beiden Jäger aufzunehmen.
Die Baronin kauerte sich, ohne dabei das Wild aus den Augen zu lassen, auf den Boden und griff instinktiv nach ihrem Hirschfänger. Gerade jetzt stieß ihr der Verlust der linken Hand bitter auf. Statt wie früher selbst mit Bogen oder Jagdspieß auf die Pirsch zu gehen, war sie nun gewissermaßen dazu verdammt, lediglich als Begleiterin an einer solchen teilzunehmen.Nach diesem kurzen Moment des Ärgers hatte sich Elissa jedoch wieder im Griff und richtete den Fokus erneut auf den Hirschen, neugierig zu sehen, wie Bärfried wohl weiter vorgehen mochte.
Der blickte sich um. Seine Zunge klebte trocken an seinem Gaumen. Die Entfernung war eigentlich etwas zu weit für den Bogen. Zumal war Bärfried nicht der beste Schütze. Aber wenn sie noch näher ran gingen könnte der Hirsch sie doch entdecken. Er musste also abwägen welches Risiko er eingehen wolle. Erschwerend kam natürlich dazu, dass er vor seinem hohen Besuch ein möglichst gutes Bild machen wollte. Also legte er ganz langsam seine Pfeil an, schickte ein Stoßgebet zu Firun, spannte den Bogen und zielte. Sein räumliches Sehen war ob des fehlenden Auges eingeschränkt aber es war auch nicht der erste Pfeil, den er nach dem Verlust des zweiten Auges verschoss.
Dann nahm er den Hirsch ins Ziel, wobei er etwas höher visierte. Dann ließ er die Sehne los und der Pfeil schoss an ihm vorbei. Er surrte und in dem Moment, wo die Sehne schnalzte, schoss der Kopf des Hirschs nach oben und er blickte panisch in ihre Richtung. Doch es war bereits zu spät. Der Pfeil bohrte sich in den Hals des Tiers, welches vor Schmerz aufschrie und sich aufbäumte. Bärfried zog nun ebenfalls seinen Hirschfänger. Der Schuss hatte gesessen, doch war er nicht sofort tödlich. Das Tier versuchte zu fliehen, in seiner Verwirrung genau auf Elissa und Bärfried zu.
Mit anerkennendem Blick hatte die Baronin verfolgt, wie ihr Gastgeber den Bogen spannte, das Ziel anvisierte und dieser auch gekonnt traf. Doch noch bevor die Adlige ihren Respekt darüber Ausdruck verleihen konnte, realisierte sie, wie das waidwunde Tier voller Panik auf seine Jäger zu hielt. Eine fast schon tollkühne Idee schoss Elissa durch den Kopf: Sie richtete sich auf, ihren Hirschfänger fest umklammert und machte eine großen Schritt zur Seite, sodass der Hirsch die Baronin passieren würde, ohne sie mit seinem Geweih zu treffen. Dann machte sie sich bereit zum Sprung, darauf hoffend, auch genau den richtigen Zeitpunkt dafür zu erwischen. Als die Adlige diesen für gekommen hielt, sprang sie dem Tier mit der rechten Schulter voran in die Seite. Dieses geriet dadurch ins Straucheln und stürzte, sich dabei mit dem Geweih zwischen zwei jungen Birken verkeilend. Elissa war zwar bei dieser riskanten Aktion ebenfalls zu Boden gegangen, stand aber, wenn auch ziemlich verdreckt, rasch wieder auf den Füßen. Nach einem kurzen Moment der Orientierung ging sie zügigen Schrittes zum wild zappelnden und panisch blökenden Hirschen und benutzte ihre Waffe zu dessen Abfangen. Wenige Augenblicke später war alles vorbei. Die Vellbergerin begann nun zwar zu realisieren, wie gefährlich ihre Aktion vorhin eigentlich gewesen war, beschloss aber, die aufkeimende Stimme der Vernunft zugunsten der Freude über den Jagderfolg verstummen zu lassen, bevor sie sich nach Bärfried umzuschauen begann.
Der hatte sich ebenfalls geistesgegenwärtig zur Seite bewegt. Sich mit einer Pike einem Reiter in den Weg zu stellen war eine Sache, sich mit einem kurzen Hirschfänger einem Hirsch, der in Panik verfallen war, entgegenzustellen war eine ganz andere!
Mit aufgerissenen Auge hatte er dann aber verfolgt wie sich seine Begleiterin todesmutig gegen den Hirsch geworfen hatte.
Mit anerkennenden Blick huldigte er der Baronin für ihren gleichfalls mutigen wie auch gefährlichen Sprung und Einfall.
Dann steckte Er seinen Hirschfänger weg, schritt zu Elissa und klopfte ihr anerkennend auf die Schulter.
"Ein wahrlich guter Einfall Frau Baronin!" und mit einem kurzen Blick auf den Hirsch, der nun tot zu ihren Füßen am Boden lag, setzte Er hinzu, "und ein ansehnliches Exemplar haben wir erlegt. Wir sollten es zügig zum Turm zurückbringen."
Zufrieden ging er zum Hirsch, löste ihn aus den Bäumen und wuchtete sich das Tier auf die Schultern.
“Hm, danke für Euer Lob, Herr Bärfried, aber ob meine Idee gut gewesen ist, sei einmal dahingestellt.” Nach einer kurzen Pause fügte sie grinsend hinzu: “Aber zumindest hat sie funktioniert, was dann doch eher für sie spricht. Übrigens ein sehr guter Schuss! Den bekämen andere selbst mit zwei Augen so nicht hin. Wie auch immer: Unser Abendessen haben wir uns mit Firuns Hilfe redlich verdient.
Dann schloss sie zu ihrem Begleiter auf und half dem Ritter beim Tragen ihrer gemeinsamen Beute. “Ich habe vielleicht nur eine Hand, aber so schwächlich, dass Ihr das Tier alleine schleppen müsstet, bin ich nun auch nicht”, fügte sie mit einem feinen Lächeln hinzu.