Geschichten:Mersinger Familienrat 1033 BF - Heiliger Eid
Die Strahlen des Praiosmals hatten die düstere Stimmung die sich am gestrigen Tag des alten Gemäuers bemächtigt hatte vertrieben und tauchten den Burghof in gleißendes Licht, als sich die Familie nach und nach einfand, um dem anstehendem Eid beizuwohnen. Flankiert von Welfert und Merovahn schritt Yolande von Mersingen ä.H. auf den Hof und begrüßte den Praiosgeweihten, der mit einer goldenen Robe angetan, soeben die Burg erreicht hatte. In den Händen trug der rundliche Praiot Sonnenzepter und ein schweren Folianten.
„Praios zum Gruße, Euer Gnaden, Ich danke Euch, dass Ihr meinem Ruf so rasch gefolgt seid.“
„Praios mit Euch, Hochwohlgeboren.“ Sie sonore Stimme des Geweihten war kräftig und klar als er die Pfalzgräfin begrüßte.
„Gerne will ich Eurer Bitte entsprechen.“ Mit einem Blick auf das bereit stehende Pult, sprach er weiter. „Wie ich sehe, habt Ihr bereits alles Nötige veranlasst. Wo ist der Ritter der den Eid ablegen soll?“
Auf ein Zeichen wurde Ritter Anshelm in den Burghof geführt, wo er vor dem hölzernen Pult zum stehen kam. „Anselm von Gnisterholm, seid Ihr aus freien Stücken vor mich getreten und wollt er den folgenden Schwur im Angesicht Praios und seine elf Geschwister ablegen?“
„Bei den Zwölfen, das tue ich“, knurrte der Ritter angespannt. Auf seinem Gesicht spiegelten sich widersprüchliche Gefühle. Erleichterung über die überstandene Gefahr aber auch Unwille und Skepsis gegenüber dem Zaumzeug und Geschirr, das man ihm nun anlegen wollte.
„Tretet vor, Anselm von Gnisterholm,“ begann der Geweihte feierlich, die Arme weit ausgebreitet. Der Priester ergriff die bereitstehende Schale und das glänzende Messer und führte die Klinge mit einem schnellen Schnitt über die ausgestreckte Hand des Junkers. Zäh troff das dunkle Rot in die güldene Schale. „Legt Eure linke Hand auf das Buch und erhebt Eure Rechte.“ Die Lippen fest zusammengepresst folgte Anshelm den Anweisungen.
„Heiliger Herr Boron und Heiliger Herr Praios, segnet diesen Schwur mit eurem Geiste. Die Worte, die nun gesprochen werden, sollen heilig sein, wie auch ihr Sinn und ihre Bedeutung. Sie werden aus freien Stücken geschworen, ohne Dunkelsinn oder Tücke im Geist, und euch als Hütern anempfohlen. Wer jedoch diesen Schwur tut, um seine Bedeutung zu verzerren, oder wer diesen Schur bricht, der sei eurer Strafe anempfohlen.“
Erwartungsvoll blickte der Geweihte auf den Junker. Gerade als er beginnen wollte reichte ihm Yolande ein Pergament. „Damit keine Missverständnisse auftreten, Wohlgeboren.“ Hastig überflog Anshelm das Geschriebene und verzog säuerlich das Gesicht, nickte dann jedoch schicksalsergeben.
„Ich, Anselm von Gnisterholm, gelobe dem Haus Mersingen Treue und Gehorsam. Ich schwöre nie wieder die Hand gegen eines ihrer Mitglieder zu erheben, noch mich mit ihren Feinden oder Gegnern gemein zu machen oder mich mit ihnen gegen das Haus Mersingen zu verschwören. Sollte ich diesen Schwur brechen, so treffe mich die Strafe der Götter, auf das meine Hand verdorre und Jedermann meinen Frevel zeige.“
Yolande trat einen Schritt nach vorne und nickte dem Geweihten freundlich zu. „Seid bedankt für diesen Dienst, Euer Gnaden. Würdet Ihr mir die Freude erweisen und das Mittagsmahl mir Euer Anwesenheit zu beehren?“
„Eine kleine Stärkung kann sicher nicht schaden, Hochwohlgeboren. Habt vielen Dank“ Der Praiot fuhr sich kurz über das gespannte Gewandt und nickte dabei erfreut. Yolande wandte sich an Merovahn. „Sei so gut und begleite Seine Gnaden in das Speisezimmer. Ich werde als bald zu euch stoßen.
Als die schweren Eichentore der Hauptburg hinter Merovahn und den Geweihten zu fielen, drehte sie sich quälend langsam, wie eine Spinne die sich ihrem Opfer nähert, zu Anshelm um. Sie hatte die Hände vor dem Bauch zusammengelegt und lächelte unergründlich, als sie herrschaftlicher Manier anhob.
„Wohlgeboren, Ihr werdet nach Garetien zurückkehren. Euch wird vom heutigen Tag an genau ein Mond zugebilligt, Eure Angelegenheiten zu regeln. Als dann werdet Ihr auf Burg Mersingen in der Mark des Raben vorstellig, um Eure neue Aufgabe anzutreten.“
Yolande legte eine Kunstpause ein.
„Um das von Euch zugefügte Leid zu mildern hat Graf Luidor in seiner Gütigkeit verfügt, dass in Kürze die Gebeine der Heiligen Thuronia in das neu zu errichtende Kloster der Ewigjungen zu Devensberg überführt werden. Im dortigen Gemäuer werdet Ihr fürderhin Eure Bestimmung finden. Sollten Wir einst von Eurer ehrlichen Reue überzeugt sein, werden Wir vielleicht über eine andere Aufgabe befinden. Doch bis dahin wird Euer Tagwerk darin bestehen, den Waisenkindern Schutz und Schirm zu sein. Ihr werdet das Stift nicht ohne meine Erlaubnis oder die der Ordensleitung verlassen.“
Wie vom Donner gerührt stand Anselm vor dem Oberhaupt der Mersingens und starrte ungläubig auf Yolande, die sich jedoch in Begleitung ihrer Familie gemessenen Schrittes entfernte, ohne auf eine Erwiderung zu warten.
Einzig Welfert verblieb, um sich mit süffisanten lächeln an der Fassungslosigkeit Anshelms zu weiden. „Ich hoffe aufrichtig, du wirst diesen Befehl missachten. Denn dann werde ich zu Stelle sein und mir deinen Kopf doch noch holen.
Auf, auf, tapferer Rittersmann. Der Weg nach Garetien ist weit und meine Heimat fern.“ Mit schallendem Gelächter folgte Welfert den anderen in die Burg und ließ Anshelm alleine mit seinen Gedanken im Burghof stehen.