Geschichten:Raulwin von Spornstein

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Gut Plaum, Baronie Osenbrück, Anfang Praios 1047 BF:

Ein feiner Nebel lag über dem Land, kroch in die Mulden und hüllte den Plaumenteich in ein trügerisches Schweigen.

Raulwin von Spornstein saß auf einer moosbewachsenen Bank am Ufer, das abgegriffene Heft seines alten Schwertes in den knochigen Fingern. Seine einst breiten Schultern waren schmaler geworden, sein Haar nur noch ein dünnes, weißes Gespinst. Doch wenn er in den spiegelnden Wassern des Teiches sein eigenes Abbild betrachtete, sah er sich noch immer als junger Recke – der kühnste, schönste und tapferste Ritter, den die Waldsteiner Lande je gesehen hatten.

„Und dennoch vergehen die Jahre“, murmelte er, als ein unerwartet kühler Windhauch sein Gesicht streifte.

Eine Bewegung im Wasser ließ ihn aufblicken. Die Nymphe war da, seine einzige wirkliche Vertraute in den letzten Götterläufen.

Sie tauchte lautlos auf, als wäre sie eins mit dem silbernen Schimmer der Wellen. Ihr Haar floss wie Algen um ihre Schultern, ihre Augen waren dunkel wie die tiefste Tiefe des Teiches. Eine aparte Schönheit, wie sie kein Mensch besaß, und doch lag in ihrem Blick eine Schwere, die ihm das Herz zusammenzog.

„Raulwin…“ Ihre Stimme klang wie das Raunen der Wellen an einer fernen Küste.

Er lächelte. „Bist du gekommen, um mich zu preisen? Oder willst du mich wieder mit deinen Rätseln quälen?“

Die Nymphe legte den Kopf schief, musterte ihn mit einer Traurigkeit, die ihm nicht gefiel. „Deine Zeit ist gekommen, mein alter Ritter.“

Raulwin blinzelte. Ein frostiger Hauch lief seinen Rücken hinab. „Meine… Zeit?“

Sie nickte langsam. „Du hast lange genug hier verweilt. Dein Körper ist müde, dein Herz schwer. Es ist an der Zeit, mir zu folgen.“

„Narrheit!“ Er stemmte sich mühsam hoch, zog sich am Knauf seines Schwertes auf die Beine. „Ich bin Raulwin von Spornstein! Kein Schicksal kann mir seinen Willen aufzwingen!“

Doch sein Atem ging schwer. Eine seltsame Schwäche breitete sich in seinen Gliedern aus.

Die Nymphe streckte eine Hand nach ihm aus. Ihre Haut glänzte wie Perlmutt im fahlen Licht. „Du hast immer von großen Taten geträumt, Raulwin. Doch du warst nie für dieses Land bestimmt. Du bist ein Fremder geblieben – so wie ich es bin. Komm nun. Sei endlich daheim.“

Etwas in ihren Worten ließ ihn erstarren. War es nicht so? Hatte er sich je hier zugehörig gefühlt? Hatte ihn je jemand gebraucht, außer den Gespenstern seiner Vergangenheit?

Langsam ließ er das Schwert sinken.

„Du fürchtest dich“, flüsterte sie.

„Nein“, sagte er, und zu seiner eigenen Überraschung war es die Wahrheit.

Die Nymphe lächelte. „Dann folge mir.“

Mit einem letzten Atemzug trat Raulwin in den Teich. Das Wasser umschloss ihn sanft, kühlte seine müden Glieder. Die Nymphe legte ihre Arme um ihn, zog ihn tiefer hinab, dorthin, wo kein Schmerz, keine Erinnerung mehr war.

Als die Sonne aufging, war der Plaumenteich so ruhig wie immer. Keine Spur blieb zurück – außer dem leichten Kräuseln auf der Wasseroberfläche, das sich wie ein leises Flüstern verlor.