Geschichten:Vulpershain - ein merkwürdiger Brief
Burg Vulperswacht in der Ritterherrschaft Vulpershain, 22. Phex 1043 BF, am Nachmittag
Es war Ende Phex und der Frühling ließ sich auch in der Brache blicken. Trotzdem brannte ein Feuer im Kamin des Arbeitszimmers im Turm. Selbiger war nun schon seit einem Jahr fertig und nach mehreren Wochen und Monaten, in denen der Eichsteiner unter Vorgabe verschiedener fadenscheiniger Gründe noch weiterhin im Gasthaus residierte, fand Ende des letzten Sommers tatsächlich der Umzug statt - jedoch erst, nachdem auch die Küche am neuen Amtssitz des Reichsritters fertig und der Turm einigermaßen wohnlich und bequem eingerichtet war. Noch immer erinnerte sich Aldur amüsiert daran, dass der zwergische Baumeister immer von einer “unzwergischen Hast” schwadroniert hatte…
Nun hatten sie den ersten Winter in “Schloss Vulpershain” hinter sich, ebenso wie das erste Winterbier. Beides war gar nicht mal so schlecht, zumindest hatte Aldur mit viel Schlimmerem gerechnet. Nun jedoch erwachte das kleine Lehen nach dem harten Winter wieder zu neuem Leben. Aldur saß an seinem Schreibtisch, als es vorsichtig klopfte.
“Herein, wenn es kein Shruuf ist!” rief Aldur und wartete gespannt. Wie immer dauerte es einen Augenblick, bis sich Odo traute, die Tür zu öffnen. Aldur lachte kurz: “Odo, was führt dich zu mir?” “Hoher Wohlherr, esch kam ein Bote aus Neuwacht… nee, Auenneu… nein: Neu-Auchenwacht, bitteschön” Er reichte Aldur den Umschlag. “Gut. Hast du dem Boten Travias Geboten gemäß Speiß und Unterkunft angeboten?” “Ja, Herr, natürlich wurde er versorg. Mit Verlaub sah er ein wenig hager ausch - gibt das nur im Kosch und bei Euch gut zu essen?” Aldur lächelte kurz. “Nein, Odo, aber ein Koch aus dem Kosch kocht eben besonders gut”, erwiderte er und strich sich unbewusst über den Bauch, der tatsächlich seit der Ankunft des Buttersaumer Kochs ein wenig an Umfang gewonnen hatte. “Schau, dass es dem Boten gut geht, du kannst dich gern ein wenig mit ihm unterhalten, wenn du möchtest.” Vielleicht erzählt er ja was interessantes dachte Aldur, während Odo den Raum wieder verließ und in der Tür fast mit Aldurs Bruder Wilbur zusammen stieß.
“Was steht in dem Brief?” fragte jener seinen Bruder mit leichter Neugier in der Stimme.
Aldur schaute den Praiosgeweihten einen Augenblick an, antwortete aber nicht.
"Es ist bestimmt die Einladung zu einer Orgie” sagte Wilbur dann trocken.
“Was willst du denn auf einer Orgie? Allen dein Sonnenszepter zeigen?”
“Naja, wär ja mal eine nette Abwechslung. Außerdem gibt es bestimmt welche, die mein prächtiges Sonnenszepter sehen wollen.”
“Nenn mir jemanden?”
“Wir wollen mal nicht indiskret werden. Was steht jetzt in dem Brief?”
“Leider keine Einladung zur Orgie.”
“Schade. Das wäre doch etwas gewesen, bei dem hoffentlich jeder auf sein Vergnügen ‘gekommen’ wäre.”
“Ich fürchte, die Wahrheit ist bedeutend langweiliger und unsinniger. Lies selbst” Damit reichte er seinem Bruder das Schreiben, das er bereits gelesen hatte.
“Werte Mitwächter…” begann Wilbur und las den Brief in Ruhe, danach wohl auch noch ein zweites Mal. “Ist ihm klar, dass er nahe an der Ketzerei ist mit seinem Vorschlag, neue Lehensträger selbst wählen zu wollen? Das ist Dämokratie, Rütteln an den Grundfesten Deres. In Elenvina würde er dafür brennen.”
“Ich dachte mir schon, dass du speziell von dem Vorschlag nicht sehr begeistert sein wirst. Aber recht hast du ja - Praios setzt uns an unsere Posten, vertreten durch die Lehenspyramide. Alles andere widerspricht der zwölfgöttlichen Ordnung.”
“Was ich auch nicht verstehe ist die Frage nach einem Schutzheiligen. Der Bund steht bereits unter dem Schutz des Heiligen Hluthar, was gibt es da zu klären?”
“Ah, mit der Frage nach dem Schutzheiligen hat er doch schon bei der Hatz für Gespräche gesorgt, als er das Thema dort ansprach. Habe ich damals schon nicht verstanden, aber im Rahmen des Essens war es ja zumindest noch unterhaltsam, sich über Möglichkeiten auszutauschen. Aber die Frage stellt sich wie du bereits sagst gar nicht, da der Bund bereits unter dem Schutz des Heiligen Hluthar steht. Wenn wir ergänzend dazu anrufen sollte wohl besser Sache des Einzelnen sein. Ich könnte mir vorstellen, dass dazu jeder seine eigene - und auch sehr unterschiedliche - Meinung hat.”
“Hm. Ich schätze, ich werde eine Antwort schreiben müssen. Nicht dass er noch meint, ich stimme diesen Ideen zu, indem ich mich nicht melde.” Er ging herüber zu seinem Schreibtisch, um zu Pergament und Federkiel zu greifen.
“Ich würde einen Brief an alle Brachenwächter schreiben. Diese Idee, Briefe etc. zu sammeln, ist ja schön und gut, dabei kann aber auch schnell mal was untergehen.”
“Und genau so machen wir es.”
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