Geschichten:Zwei Reiche, ein Vertrag – Der Mühen Lohn
Villa Casilla, Stadtteil Heldenberg, Reichsstadt Alt-Gareth, Boron 1041 BF:
Es war eine dieser Empfänge, wie sie in der Garether Oberschicht nahezu alltäglich waren. Gelangweilte Patrizier und Stadtadlige kamen zusammen, um mit viel Wein und maßloser Völlerei ihr Dasein zu jubilieren. Haltloser Müßiggang war es, der die hohen Herrschaften vom Pöbel unterschied, denn diesen musste man sich erst mal leisten können. So trafen sich die Reichen und Mächtigen – und die, die so taten, oder glaubten, als wären sie es – in der herrschaftlichen Villa Casilla.
Gastgeberin des Abends war Domna Selinde Eorcaïdos von Aimar-Gor, deren einzige Lebensleistung darin bestand, in die richtige Familie hineingeboren worden zu sein. Der Anlass der Feierlichkeit war … nun, eigentlich brauchte die hohe Gesellschaft keinen Anlass um im Überfluss zu schwelgen … wenn doch, dann erfand man schnell einen. Irgendein Heiliger hatte bestimmt Ehrentag, eine Schlacht Jubiläum, oder einer der vielen Kaiser der glorreichen Vergangenheit des Neuen Reiches hatte Geburtstag.
Die Aimar-Gor war Perfektionistin wenn es um ihre Empfange ging. So engagierte sie den wohlbekannten Garether Zuckerbäcker Marcipanus von Prailind-Storath und dieser hatte sich mit seinem Meer aus Kuchen und Törtchen gar wieder einmal selbst übertroffen. Ehrengast des Abends war niemand geringeres als Hochwohlgeboren Thesia von Quintian-Quandt, die ehrenwerte Gattin des Garether Markvogt Barnhelm von Rabenmund. Begleitet wurde sie von ihrer Zofe Yrsya von Luring-Gareth und dem Hausritter Alderan von Isppernberg.
Die Magistra und ehemalige Gräfin vom Ochsenwasser hatte sich bei Selindes Mutter Rymiona von Aimar-Gor eingehakt. Die beiden älteren Damen kannten sich schon seit vielen Götterläufen und trafen sich einmal im Mond um den neusten Tratsch auszutauschen. Während die beiden durch die herrschaftlichen Räume flanierten, hielt Rymiona ihren Schwiegersohn Esindjago von Bonladur im Auge. Der Inspekteur der Schatzkanzlei war selten in Gareth, und wenn, dann nicht ohne Grund. Das Auge der Kammer unterhielt sich sehr angeregt mit der Dame Rondrara von Praill. Die ehemalige Landvögtin von Palmyramis kannte die junge Beilunkerin aus den Dossiers ihres verstorbenen Mannes. Die Praill war Secretaria in der Reichskanzlei und man sagte ihr ebenfalls Verbindungen zur KGIA nach. Sie wurde in früheren Zeiten von Rymionas Gemahl und dessen rechter Hand Baron Darulf von Corish und von Praill gerne als Botin für besonders delikate Aufgaben eingesetzt. Als sich dann noch Elbrecht von Trenck, nunmehr persönlicher Referent des Reichsrat für Kriegswesen Horbald von Schroeckh, ebenfalls zu den beiden gesellte, wurde die Aimar-Gor hellhörig. Sie gab ihrer Zofe Mandaia zu verstehen, die drei Ministerialen im Auge zu behalten.
Unterdessen hatten sich auch die anderen illustren Gäste eingefunden. Die Rahja-Geweihte und Bademeisterin des Tempels der Schönen Göttin Rahjalieb Bugenhog zog wie gewöhnlich alle Blicke auf sich. Die zur Fülligkeit neigende Patriziertochter Alissa Munter blickte auch immer wieder voller Neid zu der wohl schönsten Frau der Stadt. Sie schaute an ihrem eigenen üppigen Körper herunter, vielleicht sollte sie es doch mal mit Brechwurz versuchen? Nein, ihr pralles Dekolletee mochte sie dann doch viel zu sehr.
Die nicht weniger rahjagefällige Schönheit Nartara von Roßsprunk versuchte hingegen die Bugenhog zu ignorieren. Neid war nicht gut für den Teint, pflegte sie zu sagen. Die gelangweilte Adlige war auf der Suche nach Zerstreuung – und nach einflussreichen Gönnern. Ihr Hang nach Genuss und Luxus verschlang ein Vermögen. An ihrer Seite weilte der stets nach neuen Aufträgen Ausschau haltende Portrait- und Bühnenmaler Danilo da Yanquirion, sowie die etwas schrullige Edle Calinda von Nesselregen-Nesselweil.
Die alternde Schönheit Marasha Feqzaïl war wie gewohnt in exotisch anmutenden Gewändern gehüllt, die mehr von ihren weiblichen Reizen zeigten als verhüllten. Sie hatte einen Faible für opulenten Schmuck und feinste aranische Stoffe - und junge Männer. Ihre Begleitung für den Abend war der junge Patriziersohn Cyberian Okenheld, ein charmanter und unterhaltsamer Jung-Händler. Marashas alterslosen Gesichtszüge ließen ihre Mimik mitunter etwas ausdruckslos erscheinen, mitunter gar maskenhaft. Es war ein offenes Geheimnis in der hohen Garether Gesellschaft, dass Marasha die Dienste der Verwandlungsmagierin Charyscha von Mherweggyn aus dem Zirkel der Freien Wissenschaften in Anspruch nahm. Dienste, die manch einer auch der fast schon zur Geschmacklosigkeit aufgedonnerten Matrone Gunilda von Pranteln anempfehlen würde. Schönheit hatte also tatsächlich ihren Preis.
Marasha fiel dann auch sämtliches aus dem frisch geglätteten Gesicht, als sie Halima El-Nabab erblickte, die mit ihrer aranischen Entourage die Blicke der Anwesenden auf sich zog. Seit der Unabhängigkeit Araniens hatte die Nichte von Fürstin Sybia die reichstreuen Exil-Aranier um das Haus Aimar-Gor mit Nichtachtung gestraft, was durchaus auch auf Gegenseitigkeit beruhte. Reichstreue aranische Familien wie Palmyr-Donas, Waraqis oder eben das Haus Aimar-Gor verloren über Nacht alle ihre Besitzungen und nicht wenige Familienangehörige sogar ihr Leben. Auch wenn das Mittelreich und Aranien nun mehr enge Verbündete waren, der Gräuel der Exil-Aranier war nach wie vor ungebrochen.
Die aranische Großhändlerin und Gesandte schritt auf Reto Eorcaïdos von Aimar-Gor zu, der gerade in ein Gespräch mit dem Erzpriester der Akademie Schwert und Stab Odilon von Sanzerforst vertieft war. Dieser hatte Reto gerade die tsagefällige Nachricht von der Geburt seines dritten Kindes überbracht.
Halima deutete eine Verbeugung an.
„Hochgeboren, darf ich um Euer Gehör bitten.“
„Verehrteste, welch hoher Besuch in meinen bescheidenen Hallen“. Der Reichsvogt küsste galant die Hand der Gesandten. „Bitte, gehen wir ein Stück.“ Mit einen huldvollen Nicken verabschiedete er sich vom Geweihten des Götterfürsten.
„Ich überbringe eine Nachricht der ehrwürdigen Mhaharani Shahi von Aranien. Ihr habt Euch in Mantrash'Mor um den Frieden der beiden großen Reiche verdient gemacht. Doch mehr noch, auch das Mhaharanyat ist Euch zu Dank verpflichtet. Die Würdigung der territorialen Integrität Araniens in dem Vertrag und somit eindeutige Anerkennung Anchopals als Teil des Mhaharanyat, ist nicht zuletzt Euer Verdienst.“ Die aranische Gesandte überreichte Reto ein gesiegeltes Schreiben. „Hiermit sei die Ehre Eures Hauses wieder hergestellt.“
Wenige Worte und doch so bedeutungsschwanger. Das Oberhaupt des Hauses Aimar-Gor nickte wohlwollend ob dieser großen Geste. Doch war es nicht mehr als das, denn die verlorenen Besitzungen seines Hauses lagen nunmehr nicht mehr im Einflussgebiet der Mhahrani. Sie konnte nichts vergeben was nicht ihres war. Dennoch war dies ein Erfolg. Halima El-Nabab nickte ebenfalls und verabschiedete sich.
Unterdessen näherte sich der Gesandte Al'Anfas Kalman Karinor und prostete dem Reichsvogt mit seinem Weinpokal zu.
„Meinen Glückwunsch, die wohlfeilen Worte der Maharani dürften Euch geschmeichelt haben. Die Heimat ist und bleibt der Ort wofür unser Herz schlägt.“
„Verehrter Herr, meine Heimat war und ist das Reich, dafür schlägt mein Herz. Das war so und das wird auch immer so sein.“
„Gewiss, gewiss, doch habt ihr in Mantrash'Mor nicht nur Eurem Reich einen hervorragenden Dienst erwiesen wie man hört, sondern auch der Heimat Eures Vaters. Der gekrönte Rabe möge sich seiner Seele annehmen.“ Der Gesandte der Schwarzen machte eine kurze Pause. „Nicht zuletzt Dank Euch, haben die Reiche des Adlers und des Greifen die aranischen Grenzen von 1022 BF anerkannt und so die aranischen Ansprüche auf Anchopal in Stein gemeißelt – sehr zum Leidwesen des Kalifen und des gorischen Sultans möchte ich meinen.“
„Ich bin mir sicher, das Leid des Kalifen vermag Eure heitere Stimmung nicht zu trüben.“ Reto nahm einen Schluck aus seinem Weinpokal.
„Da habt Ihr wohl recht“, Kalman lächelte amüsiert, „auch meinem Herren ist daran gelegen, Anchopal wieder recht bald in den Händen der Rechtgläubigen zu wissen.“
„Der Statuts von Anchopal bereitet dem Patriarchen von Al'Anfa sicherlich schlaflose Nächte.“ Der ironische Unterton war nicht zu überhören.
„Wie gut das wir nicht hier sind, um hohe Politik zu diskutieren.“ Kalman Karinor legte seine Hand vielsagend auf eine kleine Schatulle, die neben ihm auf einen kleinen Tischchen stand und sah seinen Gegenüber gönnerhaft an. „Eine kleine Aufmerksamkeit aus Meridiana, für Euren Einsatz ... für Frieden, für den Glauben.“
„Haltet Ihr mich für käuflich?“ Entrüstung lag in der Stimme des Reichsvogtes.
„Aber nicht doch, Ihr seid ein loyaler Diener Eures Reiches. Aus sicherer Quelle weiß ich, Ihr habt dem gekrönten Raben einen Dienst erwiesen, auch wenn dies sicherlich nicht Eure primäre Intention war. Doch, der Süden vergisst nicht.“
„Dem Reich und meiner Kaiserin ist gewiss an guten Beziehungen zum Al'Anfanischen Imperium gelegen.“ Der Reichsvogt lächelte vielsagend. „Zumal es meiner Kaiserin gefallen mag, ihrer lieben Großmutter ihren Glauben frei ausleben zu lassen.“
„In der Tat, das gute Verhältnis zwischen Eurer Kaiserin und ihrer Großmutter sind hinreichend bekannt.“ Der Al'Anfanische Gesandte zwinkerte Reto zu. „Nächsten Feuertag gebe ich eine kleine Festivität, ich hoffe Euch in der Villa Karinor begrüßen zu dürfen.“
„Die Art Eurer Festivitäten sind mit wohl bekannt, leider werde ich Eurer Einladung nicht folgen können, eine Burggrafschaft möchte regiert werden, ich war schon lange genug absent. Dennoch, habt Dank für die Einladung.“
„Wie bedauerlich!“ Mit diesen Worten entfernte sich Kalman Karinor.
Reto schaute dem Al'Anfaner hinterher. Dann schweifte sein Blick die kleine Schatulle. Es war gefährlich die ausgestreckte Hand des Imperiums aus dem Süden anzunehmen, aber noch gefährlicher war es, sie auszuschlagen.