Geschichten:Zwei Reiche, ein Vertrag – Fünf von Zwölf
Mantrash'Mor, 12. Travia 1041 BF:
Am Nordrand der Goldfelsen, hoch über dem Yaquirbogen, lag das Kloster Mantrash'Mor vom Bund des Wahren Glaubens. Es war eine von zwei heiligen Stätten, die allen Zwölfgöttern geweiht war.
Es herrschte allgemeine Aufbruchstimmung nach der feierlichen Unterzeichnung des Vertrages von Mantrash'Mor. Die Gesandtschaften beider Reiche hatten ihre Aufgabe erfüllt, der Frieden zwischen Adler- und Greifenthron konnte bewahrt und das zukünftige Miteinander in Schrift und Form verewigt werden. Trotz dieser diplomatischen Meisterleistung, schienen die zum Teil sichtlich geschafften Diplomaten es offenkundig kaum erwarten zu können, das Kloster zu verlassen. Drei Wochen waren sie hier eingepfercht gewesen, da die Anlage wegen Namenloser Umtriebe weitestgehend von der Außenwelt isoliert wurde. Die Schlafräume waren in den Felsen gehauene Kavernen, die jedweden Luxus entbehrten. Aber so konnten sich die hohen Herrschaften wenigstens auf das Wesentliche konzentrieren.
Reto Eorcaïdos von Aimar-Gor trat gemeinsam mit Madalena Falcomar di Rastino aus dem Hauptportal des Klosters und verabschiedete sich galant mit einem Handkuss von der Baronin von Nordhain. Es war kein Abschied für lange, denn Reto und seine Entourage würden die Almadanerin auf der Rückreise nach Garetien auf ihren heimischen Gut besuchen. Nach drei Wochen der Entbehrungen sollte nun der Genuss wieder im Vordergrund stehen und was böte sich da besser an, als ein malerisch gelegenes Weingut im Yaquirtal.
Im Hof warteten bereits Ramin, Romelio und Salix, derweil Deromir und Tawil die Pferde bereithielten. Reto umarmte einen nach den anderen innig.
„Meine Lieben, wir haben großartige Arbeit geleistet.“ In Retos Stimme klang echte Anerkennung mit. „Ihr könnt wahrlich Stolz auf euch sein, denn ihr habt dem Reich einen unschätzbaren Dienst erwiesen! Aber nichts anderes habe ich von euch erwartet.“
Retos Knappe Salix stand gleich ein wenig aufrechter da und auch Ramin und Romelio waren sichtlich geschmeichelt und strahlten.
„So und nun lasst uns diese vermaledeite Felsenhöhle endlich verlassen. Die vielen Frömmler verderben das Gemüt.“
Lachend setzten sich die Reiter in Bewegung, als Reto Zordan von Rabicum und Malepartus von Helburg gewahr wurde. Den Rabicum begleiteten die Ritterin Merva von Grenadian, die Knappin Pernula von Zolipantessa, sowie die Rechtsgelehrte Salia von Altmark und ein kleines Gefolge aus seiner Baronie im Norden Perricums. Der Höllenwaller umgab sich wie so oft mit seinem Hofkaplan und seinem Hundezuchtmeister, sowie einigen Korgonern. Welch ein Anblick diese Machtmenschen boten.
„Meine Freunde, ich danke für die sehr fruchtbare Zusammenarbeit während der letzten Wochen.“
„Fruchtbar und nachhaltig in der Tat“, brummte der Seneschall von Perricum mit einem selbstzufriedenen, schmalen Grinsen im Gesicht, „doch nun sollen unsere Erfolge in Oberfels gefeiert werden.“
„Das werden sie“, entgegnete Reto, „ich werde allerdings erst nach Inostal reisen, ein junger Baron und almadanischer Wein wartet dort auf mich.“
„Eine neue Liebschaft?“, wollte der Baron von Höllenwall in ungewöhnlich lockeren Ton wissen.
„Ich wünschte es wäre so“, Reto lächelte amüsiert, „er ist wahrlich ein Prachtbursche … aber nein, erst einmal geht es die Vertiefung der Beziehungen zu einem sehr vielversprechenden Nordmärker. Alles andere wird sich zeigen.“
„Stets für Großgaretien und das Reich im Einsatz, egal welche Tages- und Nachtzeit. Sehr vorbildlich, Aimar-Gor.“ Malepartus Lachen dröhnte laut schallend über den Hof.
„So soll es sein. Wir sehen uns in Oberfels meine Herren!“
Während die Männer ins Yaquirtal herunter ritten, drehte sich Reto noch einmal in Richtung Kloster um. Von hier aus hatte er einen fantastischen Blick auf das Zwölfgötter-Monument. Es war noch unvollendet, nicht mal die Hälfte war bisher fertiggestellt worden. Einzig die Häupter von Praios, Rondra, Efferd, Travia und Hesinde blickten schon ehrfurchtgebietend ins Tal herab. Pikanterweise war es das Abbild Borons, woran die Arbeiten nicht voran kamen. Welch Ironie, dachte sich Reto und kehrte dem Kloster nun endgültig den Rücken.